DOMRADIO.DE: Herr Professor Grunwald, die Kirche in Köln befindet sich in schwierigem Fahrwasser. Viele Menschen haben sich mit einem Austritt bereits zu den Querelen der vergangenen Monate positioniert. Die, die bleiben, haben gute Gründe und versuchen, diesem Trend bewusst und mitunter sehr engagiert entgegenzusteuern. Wie Sie, dem bei den vieldiskutierten Themen Missbrauch, Demokratisierung, Rolle der Frau und Gemeindestrukturen der inhaltliche Kern, der Glaube, zu kurz kommt. Was planen Sie?
Professor Armin Grunwald (Mitinitiator der Glaubenswoche "mittendrin – außenvor" in Sülz-Klettenberg, Köln): Wir, ein immer größer werdender Kreis aus Laien, haupt- und nebenamtlichen Christen aus Sülz-Klettenberg, sind überzeugt, dass es neben Kirchenskandalen und Machtpolitik innerhalb der Institutionen noch anderes gibt: Fragen nach Sinn, Glaube und Zweifel, nach Seele und Inhalt, ja nach den Wurzeln des Glaubens. Aus dieser Überzeugung heraus wurde die Idee zu einer "Woche des Glaubens" geboren. Dabei ist der Begriff "Glaube" weit gefasst: Wir können ihn einerseits mitten in unserem Veedel an unseren Kirchorten praktizieren. Andererseits aber erleben sich viele auch als im wahrsten Sinne des Wortes randständig, das heißt, als von vielen Glaubensdingen abgeschnitten – nicht zuletzt durch den vielen Ballast, den kirchliche Institutionen über die Jahrhunderte angehäuft haben. Wieder andere wollen sogar bewusst nur Zuschauer von außen sein. Für diese sehr heterogenen Gruppen soll diese Glaubenswoche ein Forum bieten.
DOMRADIO.DE: Sie haben dafür eine bemerkenswerte Überschrift gewählt. Können Sie die einmal näher erläutern?
Grunwald: Der Titel legt sofort die Frage nahe: Wer ist eigentlich drin und wer draußen? Vielleicht sind ja gerade die Glaubens- und Kirchenfernen das "mittendrin", während Glaube und Kirche eher "außen vor" sind. Denn es hat eine Entfremdung stattgefunden, so dass manchem der Glaube wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten erscheint. Und dennoch: Ist die Bergpredigt heute nicht mehr aktuell? Die Hinwendung von Jesus zum Rand der Gesellschaft seiner Zeit – brauchen wir das heute wirklich nicht mehr? Solidarität und Nächstenliebe – sind das wirklich keine Themen mehr in der digitalen Welt, in Zeiten von Klimakrise, gesellschaftlichen Spaltungen, politischen Verwerfungen und gerade jetzt angesichts des verstörenden Krieges in unmittelbarer Nachbarschaft? Ist denn der uralte Impuls, für eine bessere Welt einzustehen, wie ihn alle großen Glaubensrichtungen verfolgen, wirklich obsolet?
Fragen dieser Art wollen wir im September eine Woche lang in Gesprächen, Vorträgen, beim Singen und Musizieren, Tanzen und Erleben nachgehen. Dabei ist die "Woche des Glaubens" nicht nur ein Angebot an die katholische Kölner Gemeinde in Sülz und Klettenberg, sondern an alle, auch an die, die Glaube und Kirche fernstehen oder die die Kirche bereits verlassen haben. Es richtet sich an Einzelne, an Gruppen, Familien, Seniorinnen und Senioren, Kinder, Menschen jeden Alters. Wir wollen alle in unserem Viertel und darüber hinaus ansprechen, die in ihrem Leben und ihrer Weltanschauung mit den großen Fragen des Woher und Wohin noch nicht abgeschlossen haben. Die sich als Suchende und Unfertige sehen – wie meist glaubende Christinnen und Christen auch: Wir alle sind Menschen unterwegs auf den Wegen des Lebens mit unseren Erfahrungen, mit vielen Fragen und einer großen Sehnsucht. Die Woche soll den Rahmen dafür schaffen, Glaubenserfahrungen zu machen und Glauben zu teilen, über Zweifel und das Suchen zu sprechen, über die Grenzen, an die wir auf der Suche stoßen, und über das Finden, wenn es dann doch einmal gelingt.
DOMRADIO.DE: Umfragen belegen immer wieder, dass viele Menschen bei den aktuellen kirchlichen Reformprozessen auf den unterschiedlichen Ebenen in der Tat "außen vor" bleiben, nämlich dass sie kaum interessiert, was am Ende das Ergebnis eines "Pastoralen Zukunftsweges" oder eines "Synodalen Weges" ist, sie auch nicht wissen, wohin das führen soll, sie sich auf der anderen Seite insgesamt aber von der Kirche mehr Orientierung und Seelsorge wünschen. Deckt sich das mit Ihren Überlegungen und Motiven, dass es einmal weniger um strukturelle Debatten als vielmehr das Wesentliche gehen soll?
Grunwald: In der Tat, mir geht es da nicht anders als dem Gros der Gläubigen. Den "normalen" Katholiken interessieren diese Reformprozesse, die in der Öffentlichkeit, aber auch in der Kirche selbst immer wieder kontrovers diskutiert werden, nur bedingt. Auch wenn Debatten um gute Strukturen auf jeden Fall notwendig sind, weil sich etwas ändern muss, geht es mir auch noch um etwas anderes und – wenn man so will – um viel mehr. Als ich mit meiner Frau 2018 am Katholikentag in Münster teilgenommen habe, sind wir so vielen frustrierten Menschen unserer Generation begegnet, die sich in Strukturdebatten und an Reizthemen bereits seit Jahrzehnten abarbeiten und den Mut verloren haben. Im Gespräch mit ihnen war immer wieder zu hören: Jetzt haben wir uns so lange reingehangen und doch nichts bewirkt.
Also, eines Tages nicht auch an diesem Punkt zu stehen, es nicht einfach laufen zu lassen und zuzusehen, wie das Volk Gottes – und damit meine ich uns – zunehmend mehr resigniert, war unsere Hauptmotivation, die Initiative zu einer Glaubenswoche zu ergreifen. Schließlich wollen wir nicht, dass eines Tages auf unserem Grabstein steht: Sie haben sich redlich bemüht, aber diese Kirche nicht verändert. Gleichzeitig hatten bereits vor längerer Zeit wiederholte Reisen ins Heilige Land den Grundstock dazu gelegt. Ich erinnere mich noch gut, dass ich 2009 bei einer solchen Reise zum ersten Mal die Bibel wirklich gelesen habe – und zwar am Stück und nicht immer nur häppchenweise. Und das in dieser Landschaft, der Heimat Jesu. Das hat etwas in mir ausgelöst. Seitdem versuchen wir, in unserer Gemeinde den Glauben ins Gespräch zu bringen, den biblischen Botschaften wirklich auch nachzuspüren.
Auf diesem Weg sind wir also schon ein paar Jahre unterwegs, so dass die jetzt geplante Glaubenswoche schon lange in uns gearbeitet hat. Im fünften Jahr gibt es bei uns nun bereits das Format "Gottes Wort Raum geben", bei dem einmal monatlich ein in sich geschlossener längerer Text wie zum Beispiel die Bergpredigt von mehreren Lektoren im Rahmen eines Wortgottesdienstes vorgetragen wird. Auch die unterschiedlichen Abendmahlserzählungen der Evangelien oder alle Auferstehungsberichte sowie die "Ich-bin-Worte" Jesu waren schon mal dran, außerdem Prophetenbücher wie etwa Micha oder Jona. Dieser Gottesdienst, in dem mittlerweile etwa 30 Lektorinnen und Lektoren immer wieder aktiv sind, stößt seit Jahren auf beständiges Interesse, weil er die Bibel als Urgrund unseres Glaubens einfach viel erfahrbarer macht.
DOMRADIO.DE: Bleibt es denn beim Verlesen oder kommt es auch zum Austausch über das Gehörte?
Grunwald: Die lebhaften Diskussionen im Anschluss draußen auf dem Kirchplatz zeigen oft, wie sehr sich die Zuhörer von den Texten berühren lassen, was ihnen dazu einfällt und wie groß der Gesprächsbedarf darüber ist. Ich nehme eine große Sehnsucht wahr, sich mit dem Wort Gottes zu beschäftigen. Und genau dafür müssen wir einen Raum schaffen.
DOMRADIO.DE: Ist die Resonanz nicht vielleicht auch deshalb so groß, weil es kaum noch ein Forum für echte Glaubensgespräche gibt? Und haben die Menschen nicht zunehmend verlernt, überhaupt noch über ihren Glauben – oder eben auch ihre Zweifel – zu sprechen, zum einen, weil es solche Gelegenheiten kaum noch gibt, zum anderen aber auch weil andere ihnen das nicht mehr vorleben?
Grunwald: Beides ist sicher zutreffend. Wer heute nach der Sonntagsmesse noch auf dem Kirchplatz verweilt, tauscht sich meist über Alltägliches, allenfalls vielleicht noch über die Länge der Predigt aus. Eine inhaltliche Auseinandersetzung – zum Beispiel auch über die Schwierigkeit, die man gegebenenfalls mit einem Text aus dem Alten oder Neuen Testament hat – findet aber so gut wie nicht statt. Meine Vermutung ist, dass in der katholischen Kirche das Reden über den Glauben jahrhundertelang nicht wirklich gefördert wurde – auch weil das ausschließlich in der Zuständigkeit der Priester lag. Das haben wir Laien lange unkritisch und klaglos zur Kenntnis genommen. Nachfragen gehörte nicht zum Selbstverständnis des katholischen Gottesvolkes. Jedenfalls sind wir so aufgewachsen: Es war ein Denken und Reden von oben nach unten.
Für ein Sprechen auf Augenhöhe, einen echten Austausch über Exegese, die Interpretation von Bibeltexten aus ihrem Kontext heraus, gibt es bei uns keine lebendige Tradition. Dabei spricht das Zweite Vatikanische Konzil von der allgemeinen Priesterschaft des Volkes Gottes. Hier müsste sich meines Erachtens unbedingt etwas ändern, denn eine echte Erneuerung der Kirche kann nur aus der Tiefe des Evangeliums kommen. Dafür müsste es mehr Auseinandersetzung mit dem Eigentlichen geben. Wenn es uns zum Beispiel gelänge, den Geist der Bergpredigt lebendig und erfahrbar zu machen in Wort und Tat, dann würde manche Strukturdebatte ihre fundamentalistische Härte verlieren. Freilich, das ist kein Rückzug in eine Wohlfühlecke. Wenn man die Schrift ernst nimmt, dann wird es echt ernst!
DOMRADIO.DE: Was, wünschen Sie sich, soll am Ende dieser Glaubenswoche gelungen sein? Oder heißt es dann: Gut, dass wir einmal über den Glauben geredet haben?
Grunwald: Natürlich würde ich mir wünschen, dass wir bei dem einen oder anderen eine Veränderung anstoßen: dass möglichst viele Menschen ans Grübeln kommen, über Gott und seine Bedeutung für das eigene Leben nachdenken, dass sie ihre Position danach für sich klarer haben und auch in der Lage sind, darüber zu sprechen, etwas von sich mitzuteilen. Wäre doch schön, wenn sich mancher Nebel lichten würde und das große Thema "Glaube" bzw. die persönliche Betroffenheit dabei weniger diffus bliebe.
DOMRADIO.DE: Gibt es schon konkrete Planungen oder Referenten für die Glaubenswoche?
Grunwald: Bislang haben schon die Medizin-Ethikerin und ehemalige Vorsitzende des Deutschen und auch des Europäischen Ethikrates, Professor Christiane Woopen, sowie der Münsteraner Dogmatiker Professor Michael Seewald zugesagt, die sich am Beispiel ausgewählter Bibelstellen über das große Thema "Glaube und Freiheit" unterhalten werden. Außerdem wird ein Religionssoziologe darüber sprechen, was Menschen heute noch glauben und wohin die abgedriftet sind, die nicht mehr christlich glauben. Dann wird es "Glaubenswerkstätten" geben, in denen Menschen über ihre Zweifel und auch Leiderfahrungen sprechen können. Jeden Tag wird auf dem Kirchvorplatz ein buntes Kirchencafé zum Austausch einladen. Es wird zudem einen "Abend der Stille" geben, ein Taizé-Gebet mit Lichterprozession durch die Straßen Köln und vieles mehr. Was die Feinarbeit des Programms angeht, liegt noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns.
DOMRADIO.DE: Im wirklichen Leben haben Sie einen Lehrstuhl für Technik-Ethik in Karlsruhe inne, verfügen also über eine Expertise, mit der Sie sonst den Bundestag bei sogenannten Technik-Folgen wie dem Klimawandel, der Digitalisierung oder der Künstlichen Intelligenz beraten, sprich bei Fragen des technischen Fortschritts. Als seien Sie noch nicht genug ausgelastet, stemmen Sie nun auch noch eine solche "Woche des Glaubens". Was treibt Sie an?
Grunwald: Das Bibelwort: Geht hinaus in alle Welt…! Natürlich bin ich auf dem theologischen Gebiet Laie. Trotzdem glaube ich, hier gemeint und aufgerufen zu sein, meinen Teil beizutragen. Ich habe nicht den kirchlichen Tunnelblick und spreche nicht die typische Kirchensprache; vielmehr sehe ich die vielen Brücken, die wir noch nicht zu den Menschen geschlagen haben. Ich wünsche mir einfach, dass nach dieser Woche im September die Gemeinde etwas anders drauf ist und es nicht einfach nach dem Prinzip "business as usual" weiterläuft: dass sie offener und aufgeschlossener, aber auch gesprächsbereiter und sprachfähiger ist. Und ich wünsche mir, dass diejenigen sichtbar werden, die eine große Sehnsucht nach Glaubensthemen verspüren, sich von der Kirche aber angesichts der anhaltenden Strukturdebatten allein gelassen fühlen. Wenn sich von denen der eine oder andere mit einem Mal mutig zu Wort melden würde, wäre das schon ein großer Erfolg. Mein Thema ist nicht, die Kirchenaustrittszahlen zu reduzieren.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.