Kölner Milieukrippe setzt Zeichen gegen AfD

"Uns an Warnungen erinnern"

Die Kölner Milieukrippe lenkt den Blick seit 25 Jahren auf verstoßene Menschen. Auf Junkies, auf Homosexuelle, auf Prostituierte, muslimische Menschen, Juden. Deswegen gibt es am Samstagabend eine Gedenkveranstaltung zum Holocaust.

Autor/in:
Elena Hong
Ein Flüchtling (m.) und eine Prostituierte (r.) in einer Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Flüchtling (m.) und eine Prostituierte (r.) in einer Szene der Milieukrippe in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben im vergangenen Jahr das 25-jährige Bestehen Ihrer Milieukrippe begangen. Jetzt wird die Krippe nochmal zur Kulisse eines besonderen Gedenkens. Warum passt das?

Benjamin Marx, Ideengeber und Erbauer der Milieukrippe, beim Aufbau der Krippenszene in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Benjamin Marx, Ideengeber und Erbauer der Milieukrippe, beim Aufbau der Krippenszene in der Kirche Sankt Lyskirchen in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

Benjamin Marx (Kurator der Milieukrippe in St. Maria in Lyskirchen): In der Krippe in Lyskirchen stehen Figuren von Menschen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verfolgt und getötet wurden. Wir haben den jüdischen Apotheker aus der Rheingasse in der Krippe stehen, der tatsächlich in diesem Viertel gelebt hat. Etwa 200 Meter entfernt, im Filzengraben 2, war in der gleichen Zeit die Zentrale des Westdeutschen Beobachters, des Kampfblatts der Nationalsozialisten. 

Der Apotheker hat relativ früh erfahren, was in Deutschland passieren würde und er ist zum Glück 1936 nach Schweden ausgewandert. Wir haben in der Krippe eine psychisch kranke Frau stehen, Frau Tiefenbach. Auch sie hätte in dieser Zeit Schwierigkeiten gehabt und wäre mit dem Tode bedroht worden.

Wir haben ein Roma-Mädchen und den Mann aus der Mathiasstraße, der in dieser Zeit wahrscheinlich einen rosa Winkel getragen hätte. Daneben noch all die Nichtsesshaften, den Junky, die dann ein schwarzes Dreieck bekommen haben, für den von den Nationalsozialisten geprägten Begriff als asozial galten, nicht zur Gesellschaft gehörten. 

DOMRADIO.DE: Sie haben also ganz reale Geschichten von Menschen in die Krippe eingebunden, die im Nationalsozialismus verfolgt worden wären. “Erinnerung, Verantwortung, Zukunft”, unter diesem Motto steht die Gedenkstunde heute. Was steckt denn hinter diesem Dreiklang? 

Marx: Dass man sich an diese Zeit erinnern muss und dass wir aus dieser Zeit eine Verantwortung für die Zukunft haben. Und wenn man sich die Entwicklungen der heutigen Zeit anschaut, wie Gedanken wieder ausgesprochen werden können, von denen wir gedacht haben, dass sie ausgemerzt sind, dann zeigt sich, wie wichtig das heute wieder ist.

Es bedurfte noch nicht einmal dieser Enthüllungen der Correctiv-Recherche. Man musste sich nur den Europatag der AfD im letzten Sommer anschauen, da sind ganz offen Dinge ausgesprochen worden, die jetzt über Correctiv in den Medien gelandet sind. Wir müssen wachsam sein, wir müssen früher hinhören und wir müssen deutlicher verstehen, was diese Menschen meinen.

Benjamin Marx

"Ein so hässliches Wort, das in sehr vielen Familien mit Migrationshintergrund große Ängste auslöst."

Dieser Begriff “Remigration”, der zum Unwort des Jahres geworden ist, ich möchte ihn eigentlich nicht aussprechen. Ein so hässliches Wort, das in sehr vielen Familien mit Migrationshintergrund große Ängste auslöst. Ich kenne Familien, da wird am Frühstückstisch diskutiert, wo sie denn hinsollen.

Da, wo deren Vorfahren herkommen, wollen sie die Familie nicht mehr. Und viele Deutsche wollen sie auch nicht, dabei sind es Deutsche. Solche Gedanken löst die AfD aus und da müssen wir sehr wachsam sein. Das ist unsere Verantwortung für die Zukunft.

DOMRADIO.DE: An diesem Abend sollen auch Texte zu Auschwitz gelesen werden. Was sind das für Texte und von wem stammen die? 

Benjamin Marx

"Warnungen hat es immer gegeben. Und an diese Warnungen sollten wir uns erinnern."

Marx: Das sind sehr eindrückliche Texte, unter anderem von Rita Süssmuth, Hannah Arendt von dem Jan Reemtsma oder von Erich Kästner, der gesagt hat: “Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.“

Warnungen hat es immer gegeben. Und an diese Warnungen sollten wir uns erinnern.

DOMRADIO.DE: Das Kölner Vocal Ensemble 8karat wird heute an der Krippe singen. Wie greifen die Sängerinnen und Sänger diesen traurigen Anlass auf? 

Marx: Die Musik ist sehr durch das christliche Repertoire gestaltet. Es wird das Agnus Dei gesungen, es kommt das Bußgebet von Papst Johannes XXIII., der sagte: “Durch das, was den Juden passiert ist, hat man Jesus zum zweiten Mal gekreuzigt.” Und die Musik ist genau auf diese Texte abgestimmt. 

DOMRADIO.DE: Was soll von dieser Gedenkfeier heute Abend ausgehen? 

Benjamin Marx

"Nie wieder ist jetzt. Das gilt für immer und auch für ewig."

Marx: Von der Gedenkfeier soll Denken ausgehen. Die Menschen sollen nachdenken, was passieren könnte. Die Bewegung, dass aktuell so viele Menschen auf die Straßen gehen, ist ein gutes Zeichen. Es darf aber nicht verhallen. Nie wieder ist jetzt. Das gilt für immer und auch für ewig.

Das Interview führte Elena Hong.

Holocaust-Gedenktag

Jeweils am 27. Januar wird weltweit der Opfer des Holocaust gedacht. Das Datum erinnert an die Befreiung der überlebenden Häftlinge des größten NS-Konzentrationslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945. Seit 1996 gedenken die Deutschen jeweils an diesem Tag der Millionen Opfer des Völkermords.

Im November 2005 verabschiedete auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, die den 27. Januar zum weltweiten Gedenktag macht.

Israelische Soldaten besuchen am Holocaust-Gedenktag die Gedenkstätte Yad Vashem. / © Ilia Yefimovich (dpa)
Israelische Soldaten besuchen am Holocaust-Gedenktag die Gedenkstätte Yad Vashem. / © Ilia Yefimovich ( dpa )
Quelle:
DR