DOMRADIO.DE: Der Kölner Dom ist voll von Kunstwerken, die aber aus heutiger Sicht recht problematisch das Verhältnis von Juden und Christen skizzieren. Wie wird das denn sichtbar?
Weihbischof Rolf Steinhäuser (mitverantwortlich für die Koordination des Wettbewerbs): Das können Sie an den verschiedensten Stellen sehen und nacherleben. Man muss aber ehrlicherweise sagen, wenn man es nicht weiß, sieht man es nicht.
DOMRADIO.DE: Deswegen ist es vermutlich auch gar nicht so allgemein bekannt?
Steinhäuser: Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen. Auf der Rückseite des Dreikönigenschreins, der ja ein Kunstwerk von Weltrang ist, finden Sie die Darstellung der Geißelungs-Szene. Die beiden Knechte, die den Herrn geißeln, tragen "Juden-Hüte". Nach der Heiligen Schrift waren das aber römische Soldaten.
Im Grunde hat man hier, wenn Sie so wollen, gezielt eine Geschichtsfälschung begangen, um eine bestimmte Aussage zu treffen, um die Juden für das Leiden und Sterben des Herrn mitverantwortlich zu machen.
DOMRADIO.DE: Diese Kunstwerke sollen aber nicht verschwinden. Es soll ein neues, ergänzendes Kunstwerk hinzukommen, für das ein internationaler Wettbewerb ausgerufen wurde. Was erhoffen Sie sich denn von diesem Wettbewerb? Was soll am Ende dabei herauskommen?
Steinhäuser: Wir suchen ein Kunstwerk, das eine möglichst gültige Aussage über das heutige Verhältnis von Christen und Juden nach dem Zweiten Vatikanum, also nach dem Dokument "Nostra Aetate" macht, das würden wir uns wünschen.
Jedes neue Statement relativiert natürlich andere. "Relativieren" im echten Sinn bedeutet, es setzt sie in Beziehung zu anderen Dingen, es nimmt sie nicht weg. Geschichte bleibt Geschehenes, aber es ergänzt sie. Und es zeigt, dass Geschichte auch nach vorne hin offen ist.
DOMRADIO.DE: Es wurden 17 internationale Künstlerinnen und Künstler ausgewählt. Ist denn die Religiosität in gewisser Hinsicht bei der Auswahl von Belang gewesen? Es geht ja immerhin um ein religiöses Bauwerk, in dem dieses Kunstwerk integriert werden soll?
Steinhäuser: Ich weiß von keinem, welcher Religion er angehört. Das war auch kein Kriterium für uns.
DOMRADIO.DE: Was waren denn die Kriterien?
Steinhäuser: Wir als Domkapitel haben uns niemanden ausgesucht, sondern wir haben einen Zwischenschritt eingeschoben. Wir haben acht Experten gebeten, uns die Leute zu nennen, von denen sie persönlich überzeugt sind, dass die hier einen guten Beitrag leisten können. Das heißt, die mussten natürlich auf der Höhe der zeitgenössischen Kunst sein. Das mussten Menschen sein, die sich da schon einen Namen gemacht haben.
Wir brauchten Menschen, die sich mit Jüdischem und Christlichem auskennen, für sie das keine fremde Welten sind. Es ist aber eine sehr offene Sache. Wir haben gesagt, wir brauchen die Besten.
Dann haben uns diese Benennenden eine Reihe von Namen vorgeschlagen. Wir haben gesagt, dass wir die nehmen und uns nicht unsere Lieblingskünstler aussuchen.
DOMRADIO.DE: Es gab aber acht Kunstschaffende, die aufgrund von problematischer Gesinnung oder auch solcher Aktivitäten nicht ausgewählt worden sind. Welche Kriterien lagen denn hier zugrunde?
Steinhäuser: Ich kann nicht sagen "aufgrund ihrer Gesinnung". Wir gucken in das Herz keines Menschen hinein, sondern wir brauchten ja objektivierbare Kriterien, an denen wir das festmachen können. Ich kann nicht mit einem Menschen darüber reden und nachher sagen: "Ich glaube dir" oder "Ich glaube dir nicht".
Diese Kriterien haben wir aufgestellt, bevor die ersten Namen überhaupt bei uns deutlich wurden. Ich habe die Namen überhaupt erst in der vergangenen Woche erfahren. Da ich kein Kenner der Kunstszene bin, muss ich gestehen, dass ich fast niemanden von denen kannte. Das spricht nicht gegen die Künstler, nur gegen mich. Und es ist eine Aussage über mein fehlendes künstlerisches Know how.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf dieses neue Kunstwerk. Da sollen hinsichtlich der Form möglichst wenige Vorgaben gemacht werden. Gleichzeitig sind aber die unterschiedlichen Orte im Dom nicht alle gleich geeignet oder ungeeignet. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wie dieses neue Kunstwerk beschaffen sein soll?
Steinhäuser: Ehrlich gesagt nein. Ich glaube, es ist eher ein Gewinn, sich von möglichst konkreten Vorstellungen erst mal freizumachen und hinzuschauen, was diese Männer und Frauen, die den Auftrag angenommen haben, im April präsentieren werden.
DOMRADIO.DE: Vorher soll es im Januar noch ein Kolloquium geben. Da werden sich alle Beteiligten erst mal zusammenfinden und sich gemeinsam mit der Thematik intensiver auseinanderzusetzen. Haben Sie auch eine Erwartung an diese Veranstaltung? Werden Sie selbst dabei sein?
Steinhäuser: Ich werde selber dabei sein und das Kolloquium wird sicher auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Zum einen muss man den Ort anschauen und dazu müssen auch Rückfragen möglich sein. Man muss ein gemeinsames Bild des Raumes gewinnen und es muss eine Vorstellung davon entstehen, was der Dom eigentlich ist.
Der hat sicher museale Anteile. Aber der Dom ist nicht einfach ein Museum, sondern er ist ein Gotteshaus. Was hat das für Konsequenzen, wenn das so ist? Wie ist die normale Nutzung? Was ist da möglich in dem Raum?
Ich denke, da wird vor allen Dingen der Dombaumeister eine wichtige Rolle spielen und vermutlich auch die Mitglieder des Domkapitels, die unserem Kreis angehören, weil die ja zu den täglichen Nutzern des Domes gehören.
Auf der anderen Seite wird man sich mit dem christlich-jüdischen Verhältnis in Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen müssen. Da gibt es sicher viele, die sich damit bisher nicht speziell beschäftigt und nur sehr rudimentäre Vorstellungen haben.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie, könnten denn in der aktuellen Situation, wo wieder sehr viel über Antijudaismus und Antisemitismus gesprochen wird, für ein Signal vom Kölner Dom ausgehen, wenn demnächst ein solches Kunstwerk zu sehen sein wird, das sich mit dieser Thematik "Christentum, Judentum, Antijudaismus oder auch Antisemitismus" auseinandersetzen wird?
Steinhäuser: Wir würden uns darüber freuen, wenn ein Signal vom Dom ausgeht, dass die Juden und Christen nicht nur eine leidvolle Geschichte miteinander haben, sondern eine Geschichte, die offen ist, wo es auch eine Perspektive für ein gutes Miteinander und nicht nur ein Nebeneinander gibt.
Wir als Christen können das zumindest sagen. Unser Glaube wurzelt stark im jüdischen Glauben. Jesus war gläubiger und bekennender Jude. Das sind Fakten, um die wir nicht herumkommen, auch nicht herumkommen wollen.
Wir möchten das mit Wertschätzung für die Menschen jüdischen Glaubens verbinden, die sich immer wieder in einer bedrängten Situation erleben.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.