domradio.de: Das Berliner Neutralitätsgesetz ist streng. Lehrer dürfen keine religiösen Symbole während der Arbeitszeit tragen. Wie viel Verständnis können Sie persönlich dafür aufbringen, dass das Kreuz versteckt oder abgenommen werden muss?
Dr. Dominikus Schwaderlapp (Weihbischof im Erzbistum Köln): Offen gesagt, kann ich dafür nur sehr wenig Verständnis aufbringen. Wir leben in einem Land, dessen großes Pfund die Religionsfreiheit ist. Die Religionsfreiheit hat zwei Dimensionen. Der Staat darf mir kein weltanschauliches Verständnis abverlangen. Das ist die sogenannte "negative Religionsfreiheit". Das ist gut so. Gott sei Dank, gibt es kein Staatskirchentum.
Auf der anderen Seite gibt es die "positive Religionsfreiheit". Das heißt, die Bürger dieses Landes dürfen zu ihrer Religion stehen, sie bekennen, sie ausüben, sie pflegen, Gottesdienste feiern. Davon ist unser ganzes Land geprägt. Den Dom, den gebe es sonst nicht. Unser ganzes Land wimmelt von Zeichen, die für die Religionen der Menschen stehen, die hier leben. Jetzt einem Lehrer oder einer Lehrerin zu verbieten ein religiöses Bekenntnissymbol zu tragen, halte ich eigentlich für einen Rückschritt in dieser Freiheit.
domradio.de: Macht es für Sie einen Unterschied, ob es um das Kreuz an der Wand eines Klassenzimmers geht oder um das Kreuz am Hals?
Schwaderlapp: Eigentlich kaum. Wir leben in einem Staat, der weltanschaulich neutral ist, aber nicht wertneutral. "Der Staat lebt von Werten, die er sich nicht selbst gegeben hat", hat einmal der Staatsrichter Böckenförde gesagt. Der Staat lebt eben von Menschen, die ein Bekenntnis haben, die einen Glauben haben, die eine Wertegrundlage haben. Wir können dankbar sein, wenn wir Lehrerinnen und Lehrer haben, die aus solcher Wertegrundlage heraus die Kinder und Jugendlichen unterrichten.
Es ist auch die Wertegrundlage, auf der unsere Verfassung beruht. Der erste Artikel unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Allein dieser Artikel ist nicht zu verstehen ohne die christlichen Wurzeln. Wir sind mit Gottes Liebe gewürdigt, egal ob jung oder alt, schön oder nicht schön, reich oder arm, gesund oder krank, der erste Augenblick des Lebens oder der Letzte. Wir haben diese Würde, die kein Staat uns gegeben hat. Das ist unser Personenverständnis, was im Christentum wurzelt.
domradio.de: Die Lehrerin war unter Zugzwang. Sie hat reagiert und anstatt ihres Kreuzes einen Fisch umgehängt. Das ist auch ein christliches Symbol. Viele haben es zum Beispiel am Auto. Wie sehen Sie das? Ist das eine Provokation?
Schwaderlapp: Ich möchte auf diesem Weg, der Lehrerin, die ich nicht kenne, meinen höchsten Respekt zollen. Sie lässt sich ihr Bekenntnis nicht irgendwie abkaufen. Es ist fast schon eine Tragikkomik. Das Zeichen des Fisches haben die Christen in Zeiten der Verfolgung gewählt, als es ihnen verwehrt wurde sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen. Gehen wir wieder dahin? Ist das allen Ernstes der Weg, den wir in unserer Gesellschaft einschlagen wollen? Ich hoffe doch nicht.
Das Interview führte Verena Tröster.