"Wir dürfen unsere starke Stellung in Wirtschaft und Politik nicht als Hegemon nutzen und den anderen unsere Vorstellungen aufoktroyieren", sagte Kohlgraf am Dienstagabend in Mainz. "Europäische Solidarität ist auch von uns gefordert, auch dann, wenn wir nicht direkt davon profitieren, sondern sie von uns Opfer verlangt", betonte der Bischof beim diesjährigen Martinsempfang des Katholischen Büros in Mainz.
Lebensverhältnisse dürfen nicht auseinanderdriften
In einer Welt zunehmender Konflikte werde Europa den Frieden nur bewahren, "wenn die Lebensverhältnisse in Europa nicht wieder auseinanderdriften". Denn dadurch würde sich "die Erosion von Solidarität" beschleunigen, so der Bischof laut Redemanuskript. Als größte Wirtschaftsmacht Europas stehe Deutschland hier "in besonderer Verantwortung".
Europa sei zwar ein "Friedensprojekt". Doch mit dieser Idee alleine werde man besonders die Jugend nicht mehr überzeugen, so Kohlgraf. Denn viele Menschen vor allem im Süden und Osten Europas erlebten, "dass das Versprechen von Wohlstand und Beschäftigung, das mit der Idee des Friedens verbunden war, nicht für alle erfüllt wird".
"Übernationales Gemeinwesen"
Der Mainzer Bischof mahnte zudem zu religiöser Toleranz innerhalb Europas. "Natürlich ist die europäische Geschichte christlich geprägt und wir hoffen, dass das Christentum auch in Europa weiterhin eine wichtige Rolle spielt", sagte Kohlgraf. Dies dürfe aber "nicht so verstanden werden, als sollten oder könnten wir zu einer religiös homogenen Einheit in Europa kommen". Das christliche Menschenbild fordere Toleranz und Religionsfreiheit. Die Aufgabe bestehe darin, ein plurales, demokratisches und sozial solidarisches Europa zu gestalten. In diesem "übernationalen Gemeinwesen" dürften Rassismus und Nationalismus keinen Platz haben.
Das Katholische Büro Mainz ist das politische Verbindungsbüro der Diözesen mit rheinland-pfälzischen Gebietsanteilen - also Trier, Speyer, Mainz, Limburg und Köln - zur rheinland-pfälzischen Landesregierung. Es wurde 1968 gegründet.