DOMRADIO.DE: Sie waren hautnah dabei, kann man sagen. Sie haben auch gleich Ihren ersten Luftalarm erlebt. Wie war das?
Msgr. Christoph Huber (Generalpräses von Kolping International): Es ist erschütternd. Dieses Sirenengeheul bekommt man auch nicht heraus. Das ist etwas, wo man sofort auch selber existenziell total verunsichert ist, weil man nicht weiß, was passiert.
DOMRADIO.DE: Und wie reagieren die Ukrainer? Ist das für die schon so eine Art Alltag?
Huber: In Czernowitz, wo ich war, ist es so etwas wie Alltag. Wir sind zwar alle aufgestanden und haben die Gebäude verlassen. Aber in den Keller gehen dann doch nur noch wenige, weil es schon fast zum Alltag gehört.
DOMRADIO.DE: Sie waren mit einem Hilfstransport aus Rumänien unterwegs, der von Kolping Rumänien nach Czernowitz ging. Was hatte der denn geladen? Was brauchen die Menschen jetzt am meisten?
Huber: Meistens sind es Stromgeneratoren, um den ausfallenden Strom und damit auch die ausfallende Heizung zu kompensieren. Lebensmittel, warme Kleidung und auch Weihnachtsgeschenke. Denn die Menschen brauchen Zuwendung. Sie brauchen Solidarität. Sie brauchen auch menschliche Wärme.
DOMRADIO.DE: Wissen Sie, was in den Geschenkepackungen drin war?
Huber: Nein, das weiß ich nicht, weil die von Kolping Erfurt gepackt waren. Es stand nur dann immer darauf, ob es für einen Buben, für ein Mädchen, für eine Familie, für eine Frau, für einen Mann ist.
DOMRADIO.DE: Sie waren vor allem im Westen der Ukraine unterwegs, also weit entfernt von der Frontlinie. Wie präsent ist denn da der Krieg?
Huber: Der ist so präsent, als ob er direkt dort auch stattfindet. Es hat jeder Verbindungen ins Kriegsgebiet. Es hat jeder Bekannte, Verwandte, die dort Soldaten sind, die dort mithelfen und hat sofort aktuellste Informationen über alles, was geschieht.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist hier der Blackout ein Horrorszenario, das immer wieder über uns schwebt. Für die Menschen in der Ukraine ist das schon zum Teil Alltag. Wie meistern die diese Herausforderung?
Huber: Sie ertragen sie in dem Wissen, dass ihnen die gegenseitige Solidarität hilft. Und sie sind sich völlig einig, dass sie sich davon nicht mürbe machen lassen.
Sie sind natürlich manchmal ärgerlich über die eigene Verwaltung, die dann keine vernünftigen Regelungen auf den Weg bringt, um zu sagen, wann Stromausfall ist. Das hält sie aber nicht davon ab, gemeinsam gegen den Feind zu stehen.
DOMRADIO.DE: Sie haben uns jetzt schon erzählt, dass Sie unter anderem Weihnachtsgeschenke in die Ukraine gebracht haben und natürlich auch andere Hilfsgüter. Wie kann Kolping noch vor Ort helfen?
Huber: Wir helfen konkret durch die Flüchtlingsaufnahme in unseren Einrichtungen und Häusern, durch die Verpflegung von Flüchtlingen dort. Wir helfen konkret, indem wir versuchen, auch "Wiederaufbau" zu betreiben, indem wir den Leuten helfen, dass sie sich jetzt dort ansiedeln, solange das im Osten nicht möglich ist.
Vor allen Dingen helfen wir durch unser Solidaritätsnetz. Wir haben von Kolping Polen, Kolping Rumänien, Kolping Slowakei über Deutschland, Schweiz, Österreich ein ganz enges Netz, wo wir täglich in Verbindung stehen, wo die Ukrainer sagen können, was sie brauchen. Dann wird versucht, das zu organisieren, je nachdem, wo es am besten organisiert, gekauft, erworben werden kann.
Und dann wird der Transport organisiert. Seit dem ersten Tag des Krieges funktioniert dieses Transportnetz, dieses Solidaritätsnetz, das ist tagesaktuell. Wir können das auch durch die Spenden finanzieren, die wir aus der ganzen Welt bekommen.
Dazu haben wir auch ein Tagebuch im Internet, das Tagebuch der Hilfe, wo wir genau protokollieren und wo jeder nachschauen kann, was im Moment dort vor Ort oder in den umliegenden Ländern geschieht.
DOMRADIO.DE: Welches war denn Ihr persönlich eindrücklichstes Erlebnis?
Huber: Das sind natürlich die persönlichen Begegnungen. Die alte Frau mit 90 Jahren, die man aus einem Keller gerettet hat, die dort unter den Trümmern lag und die mir dann um den Hals fällt und sagt: Die Hauptsache ist, ich lebe, und ihr habt mir eine Heimat hier gegeben, obwohl ich in der Fremde bin und ganz alleine.
DOMRADIO.DE: Nächstes Wochenende ist Weihnachten. Hat diese Reise auch noch einmal Ihren Blick auf das Fest verändert?
Huber: Auf jeden Fall. Für mich ist Weihnachten noch stärker ein Aufruf zur Menschlichkeit geworden. Ich bin Gott dankbar, dass er Mensch geworden ist. Und ich glaube, dass wir immer noch mehr Menschen werden müssen.
Das Interview führte Heike Sicconi.