Kolpingwerk fordert stärkere Bekämpfung von Fluchtursachen

"Nur eine ganz marginale Rolle"

Im Asylstreit beschwört die Politik fast gebetsmühlenartig auch die "Bekämpfung von Fluchtursachen". Markus Demele vom Internationalen Kolpingwerk kritisiert, dass in der Realität wenig dafür getan werde.

Flüchtling in einer Unterkunft / © Tobias Hase (dpa)
Flüchtling in einer Unterkunft / © Tobias Hase ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wenn wir auf Afrika schauen, eine der Schwerpunktregionen von Kolping International: Woher kommen die meisten Flüchtlinge und aus welchen Gründen?

Markus Demele (Generalsekretär Kolping International): Wenn wir uns die Flüchtlingsströme insgesamt anschauen, dann müssen wir unterscheiden zwischen den Binnenflüchtlingen und denen, die nach Europa kommen. Zu den Hauptherkunftsländern zählen Syrien, Afghanistan, der Südsudan, aber auch Somalia, das ja faktisch ein gescheiterter Staat ist.

Aber die Mehrheit der Flüchtlinge kommt nicht nach Deutschland oder Europa, sondern wird von den Nachbarländern aufgenommen. Die meisten verfügen oftmals gar nicht über das entsprechende Geld und die Ressourcen, den weiten und teuren Weg nach Europa zurückzulegen, darum bleiben sie in der Region.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie in der aktuellen Diskussion irgendwelche Hinweise darauf, dass es der Bundesregierung auch mit der Bekämpfung von Fluchtursachen ernst ist?

Demele: Der aktuelle Diskurs, den wir beobachten, offenbart eine ganz perverse Schizophrenie: Wir haben die Diskussion um die Abschottung und die Frage, wie Flüchtlinge, die kein Recht auf Asyl haben, daran gehindert werden, ins Land zu kommen.

Aber kaum jemand fragt, warum sich Menschen auf den Weg machen und was die Ursachen dafür sind. Gründe, die nicht unmittelbar asylrelevant sind, sondern einfach die Suche nach einem besseren Leben bedeuten, spielen in der Debatte nur eine ganz marginale Rolle.

Auch in Horst Seehofers Masterplan, in den ja auch Anregungen von Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU Eingang fanden, spielt das fast keine Rolle. Geflüchtete und Fluchtursachen sind derzeit zwei vollkommen voneinander getrennte Diskurse.

DOMRADIO.DE: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Dienstag in ihrer Regierungserklärung gefordert, man brauche einen "Pakt mit Afrika". Und Seehofers "Masterplan" fordert Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Jobs in den Ländern Afrikas und des Nahen Ostens. Ist daran irgendetwas neu?

Demele: Nein, Entwicklungsminister Müller hat bereits vor einiger Zeit den "Marshallplan mit Afrika" vorgelegt, in dem viele richtige und gute Dinge stehen und der sicherstellen soll, dass wir weiter in die richtige Richtung gehen und zwar gemeinsam mit den afrikanischen Staaten. Es ist übrigens spannend zu sehen, dass die Bundeskanzlerin weiterhin vom "Marshall-Plan für Afrika spricht", das ist eben genau nicht die Deutung von Gerd Müller, der einen partnerschaftlichen Ansatz verfolgt.

Entwicklungszusammenarbeit ist ganz wichtig und auch, wenn die Bundesregierung schon viele wichtige Schritte unternommen hat, machen wir noch nicht genug. Am Ende ist vieles ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn die Maßnahmen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durch andere Ressorts konterkariert werden, vor allem durch das Wirtschaftsministerium und teilweise auch durch das Auswärtige Amt.

Wir müssen die Strukturprobleme unserer Weltwirtschaftsordnung angehen: Vor allem brauchen wir weniger Freihandel und mehr fairen Handel. Es sollte auf dem deutschen Markt kein Produkt mehr verkauft werden dürfen, das nicht unter Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen produziert wurden [Übereinkunft der Internationalen Arbeitsorganisation über menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Anm. der Red.]. Es darf auf dem deutschen Markt keine Produkte mehr geben, in denen Kinderarbeit steckt. Das kann man gesetzlich regeln und das gibt auch das internationale Welthandelsabkommen eigentlich her. Und Deutschland ist dort ein starker wirtschaftlicher Akteur, unsere Stimme hätte dort ein starkes Gewicht. Aber leider sind die wirtschaftlichen Kräfte, die daran kein Interesse haben, stärker.

Das gilt auch für den Handel mit Afrika insgesamt: Wir müssen dafür sorgen, dass die schwachen afrikanischen Volkswirtschaften sich zeitweise gegen Billigimporte oder subventionierte Importe abschotten können. Diese Möglichkeit hatten auch eine gewisse Zeit die europäischen Länder, damit sie ihre eigenen Industrien aufbauen können und die Chance haben, auf dem Weltmarkt eine Rolle zu spielen. Im Moment sind sie reduziert auf die Rolle des Rohstoffexporteurs.

DOMRADIO.DE: Das Kolpingwerk und die Kolpingsfamilien vor Ort versuchen auf ihre Weise, den Menschen Perspektiven zu eröffnen – wie geschieht das konkret? Ist das nicht auch Bekämpfung von Fluchtursachen im Kleinen?

Demele: Ja, die Summe der vielen kleinen Initiativen ergibt dann etwas Großes. Die Menschen, die sich bei Kolping einsetzen und versuchen, in der Projektarbeit ihr Leben zu verbessern, schaffen tatsächlich eine Perspektive in der Heimat, indem sie ihre eigene ökonomische Situation verbessern.

Das ganz klassische Beispiel ist die landwirtschaftliche Entwicklung: Wenn Kleinbauern durch Kolping-Trainer neue Anbaumethoden beigebracht bekommen, die die Produktivität steigern, dann wird es möglich, nicht nur die Familie zu versorgen, sondern auch einen Überschuss auf dem Markt zu verkaufen. Das ist großartig, weil das eine Entwicklungsspirale in Gang setzt. Dann können Kinder zur Schule geschickt werden, ein neues Haus wird gekauft und es gibt mehr warme Mahlzeiten. Dieser Anstieg an Wohlstand verhilft Menschen zu einer Perspektive, auch für die nächste und übernächste Generation.

Ob das im Bereich der Mikrokredite ist, die Förderung von Kleingewerbe oder in der beruflichen Bildung: Es gibt so viele kleine Baustellen, wo man etwas tun kann und wo dann in der Summe ganz viel herauskommt; wo Menschen dankbar und froh sind, dass sie ihre eigenen Ressourcen nutzen können, um in ihrer Heimat ein gutes Leben aufzubauen.

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR