Kommentar zur Rolle der Kirche als Gewissens-Instanz für die Politik

Geistig-moralische Wende 2.0?

Anfang der 1980er Jahre forderte Helmut Kohl eine "geistig-moralische Wende" zurück zu grundlegenden ethischen Werten und sozialen Tugenden. Nun vollzieht die CDU erneut eine Wende - vor der die Kirchen warnen. Ein Kommentar.

Autor/in:
Ralf Walter
Friedrich Merz (CDU) spricht neben Olaf Scholz (l, SPD) / © Kay Nietfeld (dpa)
Friedrich Merz (CDU) spricht neben Olaf Scholz (l, SPD) / © Kay Nietfeld ( (Link ist extern)dpa )

Die Zeiten, in denen von der Kanzel eindringliche Wahlaufrufe auf das Kirchenvolk herniedergingen, sind gottlob lange vorbei. Damals standen die Unionsparteien einer solchen Einmischung aus Gründen noch sehr positiv gegenüber. Heutzutage stößt dort ein ökumenischer Kirchenappell gegen die geplante Migrationspolitik der CDU und die Kritik an einem scheinbaren Schulterschluss mit der AfD verständlicherweise auf wenig Gegenliebe. Man fühlt sich bei einer geistig-moralischen Wende ertappt, die Wortschöpfer Helmut Kohl wohl im Grabe rotieren lässt.

Bundeskanzler Scholz und Bundesratspräsidentin Rehlinger beriefen sich in der hitzigen Debatte über die Pläne von Friedrich Merz dagegen ausdrücklich auf den Brandbrief von Prälatin Anne Gidion und Prälat Karl Jüsten, für sie kam er natürlich zur passenden Zeit. 

Auch wenn es in der katholischen Bischofskonferenz nun interne Machtrangeleien darum gibt, ob der Prälat für die Gesamtheit der Bischöfe sprechen durfte: Die Kirchen sollten heilfroh sein, dass ihre Stimme überhaupt noch einmal ein solches Gehör im deutschen Bundestag findet. Angesichts der zunehmenden Bedeutungslosigkeit bei Fragen der Ethik, des Anstands und der Moral in Politik und Gesellschaft ist es doch hocherfreulich, im Hohen Haus und auch den Medien so nachhaltig wahrgenommen zu werden.

Demokratie in Deutschland am Scheideweg

Das macht Hoffnung, dass in Zeiten, in denen es wirklich ans demokratische Eingemachte geht, solche Warnrufe doch noch etwas bewirken können. Spätestens dann, wenn das Kreuz nicht an der falschen Stelle auf dem Wahlzettel gemacht wird.

Die Kirchen, insbesondere die evangelische, haben sich beim Kampf um die Weimarer Demokratie wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. In den USA sind sich katholische Bischöfe heute nicht zu schade, Donald Trump als Heiland zu feiern, dessen Dekrete ihn mitunter wie einen Despoten erscheinen lassen. Kürzungen der Sozialgelder und der Umgang mit Flüchtlingen werden zwar kritisiert, andere menschenfeindliche Entscheidungen aber begrüßt. Da brauchte es eine mutige evangelische Bischöfin, um den Präsidenten eindringlich an christliche Leitplanken zu erinnern. 

Vielleicht wird man sich dereinst an diese Tage im späten Januar 2025 erinnern, an denen die Demokratie in Deutschland am Scheideweg stand und die Kirchen auf der richtigen Seite - als Stimme der Vernunft und Menschlichkeit in einem Tohuwabohu aus Populismus, Hass und Hetze.

Information zum Autor: Ralf Walter ist Redaktionsleiter Online von DOMRADIO.DE.

Ralf Walter / © Nicolas Ottersbach (DR)
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Quelle:
DR

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