Die Debatte flammt immer wieder auf. Und sie birgt ethischen Sprengstoff: Darf der Gesetzgeber die Organspende zu einer rechtlichen und moralischen Pflicht machen? Oder muss sie freiwillig bleiben - auch um den Preis, dass viele Patienten, die auf der Warteliste stehen, wegen Organmangels sterben.
Die Zahl der Organspender war in den vergangenen Jahren mit rund 800 auf einen Tiefststand gefallen. Erst 2018 erholte sie sich wieder und stieg auf 955.
Nach Bundesärztekammer, medizinischen Fachgesellschaften haben auch prominente Gesundheitspolitikern von Union und SPD einen Stein ins Wasser geworfen: Spahn und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wollen am Montag einen Gesetzentwurf für die Einführung einer doppelten Widerspruchslösung vorlegen.
Künftig soll jeder Deutsche automatisch ein Spender sein, so lange nicht ausdrücklich widerspricht. Von einer doppelten Widerspruchslösung ist die Rede, weil auch die Angehörigen im Sinne des potenziellen Spenders widersprechen können sollen.
Eingriff "in die Freiheit des Einzelnen"
Spahn räumte im Vorfeld ein, eine Widerspruchslösung sei ein Eingriff des Staates "in die Freiheit des Einzelnen". Doch seien alle bisherigen Versuche, die stark zurückgehende Zahl der Organspender wieder zu erhöhen, ohne Erfolg geblieben. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sogar von einer "Schande", dass zurzeit so viele Menschen "unnötig leiden, weil keine Organe für sie vorhanden sind".
Fast jeder Mensch sei im Krankheitsfall auch ein potenzieller Empfänger von Organen. Da sei es richtig, dass auch jeder ein möglicher Spender sei.
Schon 1997, als der Bundestag die Organspende regelte, gab es eine heftige Debatte. Die Abgeordneten entschieden sich damals für eine erweiterte Zustimmungsregelung, nach der nur dann Organe entnommen werden dürfen, wenn der potenzielle Spender zu Lebzeiten oder seine Angehörigen in seinem Sinne ausdrücklich zustimmen.
Die katholischen Bischöfe, die Stiftung Patientenschutz und der Erlanger Sozialethiker Peter Dabrock verteidigten diese Regelung:
Eine Organspende sei eine besondere Form der Nächstenliebe über den Tod hinaus, argumentieren auch die katholischen Bischöfe. Die bestehende Regelung gewährleiste eine informierte Entscheidung und respektiere das Selbstbestimmungsrecht.
Dabrock, der auch Vorsitzender des Deutschen Ethikrates ist, und Patientenschützer Eugen Brysch warnten vor einem weiteren Vertrauensverlust in die durch Skandale gebeutelte Transplantationsmedizin. Dabrock argumentiert, eine Widerspruchslösung würde "den menschlichen Körper zu einem Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit" machen.
Der Ethikexperte betonte, es werde als ein großer Fortschritt gefeiert, dass "die Datenschutzgrundordnung die ausdrückliche Zustimmung bei jeder Datenweitergabe fordert. Und nun wird debattiert, dass bei der Verwendung des eigenen Körpers über den Tod hinaus der Widerspruch leitend sein soll". Das passe nicht zusammen.
In Spanien gilt die Widerspruchslösung bereits
Befürworter einer Widerspruchslösung verweisen immer wieder auf das Beispiel Spanien, das mit einer Widerspruchslösung und 46,9 Organspendern pro Million Einwohner Weltmeister bei der Organspende ist - in Deutschland liegt die Rate bei 11,5 Spendern.
Allerdings hat diese Argumentation einen Haken: Mediziner verweisen darauf, dass dort nicht nur bei Hirntod, sondern auch bei Patienten mit Herztod Organe entnommen werden - was in Deutschland verboten ist. Zudem sind die Werte in Spanien erst so gut, seit die Krankenhäuser mit großem Aufwand an Zeit und Geld die Organspende organisierten.
Genau an diesem Punkt herrscht auch in Deutschland große Einigkeit in Politik, Medizin und Ethik: Die Abläufe in der Transplantationsmedizin müssen verbessert werden. Der Bundestag hat deshalb im Februar bereits ein Gesetz beschlossen, das die Hindernisse in den Kliniken beseitigen soll. So wird die Stellung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken verbessert; außerdem sieht es eine höhere Kostenerstattung für die Medizin vor.