Mit den Jesuiten fing es an. Genauer: mit einer Schule des katholischen Ordens - dem Canisius-Kolleg in Berlin. Anfang 2010 machte der damalige Schulleiter, Pater Klaus Mertes, den Missbrauchsskandal an seiner Schule bekannt und löste damit eine Welle von Enthüllungen zu Fällen in der Kirche und in anderen Institutionen aus.
Missbrauch an Schulen und Internaten
Danach gerieten die Ordensgemeinschaften immer wieder in die Schlagzeilen, vor allem durch Fälle an ihren Schulen und Internaten - etwa am Aloisiuskolleg der Jesuiten in Bonn oder im Klosterinternat der Benediktiner im oberbayerischen Ettal, um nur die bekanntesten zu nennen.
In der Bonner Schule etwa gab es nach bisherigen Missbrauchsuntersuchungen seit den 1950er Jahren mindestens 60 Betroffene und 23 Beschuldigte, darunter 18 Jesuiten. Opferverbände kritisierten die Studien allerdings als lückenhaft und gehen von höheren Zahlen aus.
In Ettal kam ein Sonderermittler zu dem Ergebnis, dass über Jahrzehnte hinweg bis etwa 1990 Kinder und Heranwachsende "brutal misshandelt, sadistisch gequält und auch sexuell missbraucht wurden".
Die Vorwürfe richteten sich gegen mindestens 15 Ordensmänner, die Zahl der Opfer soll weit über 100 liegen. Im einzigen noch nicht verjährten Fall wurde ein ehemaliger Pater 2016 zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Kein systematischer Überblick
Doch diese Untersuchungen waren Einzelfälle. Missbrauch unter den rund 13.500 Ordensfrauen und 3.500 Ordensmännern, die in knapp 1.500 deutschen Ordensniederlassungen leben, wurde bisher nicht umfassend und systematisch unter die Lupe genommen. Auch in der 2018 von den Bischöfen vorgestellten Studie wurden die Orden nur berücksichtigt, wenn etwa ein Ordenspriester in Diensten eines Bistums stand und zum Täter wurde.
Ein Problem dabei ist die große Zahl und die sehr unterschiedliche Ausrichtung der insgesamt 392 Gemeinschaften, ein anderes die fehlenden Ressourcen - Geld und Personal - für eine umfassende Studie. Fachleute hätten aufgrund der sehr komplexen Lage sogar ausdrücklich davon abgeraten, sagte die Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), die Franziskanerin Katharina Kluitmann, 2019 der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Zugleich kündigte sie damals die jetzt veröffentlichte Mitgliederbefragung an, um - trotz aller Unzulänglichkeiten - zumindest etwas genauere Erkenntnisse über die Dimensionen sexueller Gewalt in Klöstern und anderen Ordenseinrichtungen zu erhalten. Besonders wichtig dabei sei es, den Betroffenen zu zeigen: "Das Leid wird gesehen, und ihnen wird geglaubt."
Was das Ganze nicht leichter macht: Anders als die Bistümer sind viele der Orden nicht nur in Deutschland aktiv, sondern international organisiert. Etliche Gemeinschaften sind zudem überaltert, und viele der Einrichtungen, in denen damals Missbrauch geschah, existieren schon lange nicht mehr.
Es gibt Grauzonen
Hinzu kommen weitere "Grauzonen" - etwa die Frage nach geistlichem Missbrauch in Verbindung mit unangemessener Machtausübung oder die Frage nach Misshandlungen in von Orden geführten Kinderheimen. Wo und wie oft wurde hier die Grenze zum sexuellen Missbrauch überschritten? Fragen, die heute oft kaum noch zu klären sind.
Die DOK hat - im Bewusstsein all dieser Probleme - immer wieder betont, sie wolle als "Einrichtung mit begrenzten Mitteln" eng mit der Bischofskonferenz und dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Missbrauchsfragen, Johannes Wilhelm Rörig, zusammenarbeiten. Erstes Ergebnis ist die jetzt vorgestellte Umfrage, verbunden mit der Absicht der weiteren Aufarbeitung und dem Versprechen, stärker als bisher auf die Betroffenen zuzugehen.
Unter diesen Voraussetzungen können die jetzt veröffentlichten Umfrageergebnisse auch nur eine Momentaufnahme sein: Rund drei Viertel - 291 von 392 - der Orden haben Zahlen genannt. Demnach gab es 654 Missbrauchsvorwürfe gegen Ordensleute sowie 58 weitere gegen Ordensangestellte. Betroffen von den Übergriffen waren laut Umfrage mindestens 1.412 Kinder, Jugendliche oder Schutzbefohlene. Zudem spricht Kluitmann von einer nicht näher bestimmbaren Dunkelziffer.
Neben dem ersten, wenn auch lückenhaften zahlenmäßigen Überblick geht es der DOK um möglichst unabhängige Ansprechpartner und möglichst einheitliche Regelungen für Anerkennungszahlungen, um eine verbesserte Führung der Personalakten und auch darum, mögliche systemische Ursachen für Missbrauch zu identifizieren. Ausdrücklich wird hier das Gehorsamsgelübde genannt.
Bei alldem macht die DOK aber auch deutlich, dass zunächst jeder Orden selbst zuständig sei. Sie selbst biete Hilfe, Fortbildungen und ähnliches mehr an, könne aber keine Gemeinschaft zu irgendetwas zwingen.