domradio.de: Wie reagiert ihr Land auf so einen Anschlag? Ist es ein bisschen so, dass man denkt: "Nicht schon wieder bei uns?"
Dr. Nino Galetti (Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Frankreich): Genau so ist das Empfinden, was die Menschen hier haben. Sie verspüren Trauer, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Warum schon wieder? Man findet fast keine Worte dafür, warum schon wieder Frankreich, warum schon wieder so ein schrecklicher Anschlag?
domradio.de: Die EM ist gerade vorbei, da war man erleichtert darüber, dass man das gut überstanden hatte. Jetzt passiert ausgerechnet wieder so ein Anschlag, was bedeutet das für Frankreich?
Galetti: Die Franzosen schätzen sich glücklich, dass während der Europameisterschaft kein Anschlag passiert ist. Sie können sich glücklich schätzen, dass die Polizei und die Sicherheitskräfte die Lage während der EM im Griff hatten. Im Verlauf dieser vier Wochen ist die Stimmung auch zunehmend besser geworden und in der letzten Woche, als dann auch klar war, dass Frankreich ins Finale ziehen wird, haben sich die Leute gefreut. Man hat sie auch feiern sehen können. Jetzt ist das wieder genau andersherum, man hat heute Morgen auch gemerkt, die Leute wachen auf und müssen wieder so schreckliche Nachrichten zur Kenntnis nehmen. Die Stimmung ist wieder gedrückt und es erinnert wieder sehr an den vergangenen November oder an die Anschläge im Januar 2015.
domradio.de: Man kann den Eindruck bekommen, dass die Welt abstumpft bei solchen Meldungen, die wir seit dem vergangenen Jahr jetzt aus Frankreich schon zum dritten Mal in Folge hören. Ist das auch im Land so, dass man da abstumpft, wenn man nicht direkt davon betroffen ist?
Galetti: Nein, von Abstumpfen kann keine Rede sein. Wir haben hier den Ausnahmezustand. In Paris und den anderen Städten sind die Sicherheitskräfte präsent, hier patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten auf den Straßen, das ist jetzt seit November der Fall. Es gibt Kontrollen, wenn man ins Kaufhaus oder ins Kino geht. Man wird durchleuchtet, wenn man auf einen Ausflugsdampfer auf die Saine steigt. Also die Sicherheitssituation ist stets präsent, aber es ist natürlich ein wenig Routine reingekommen. Das heißt aber nicht, dass das jetzt unaufmerksam gemacht wird, aber wo man einfach weiß, da steht ein Sicherheitsmann, der nachguckt und man merkt, dass das alles seine Richtigkeit hat.
Nichtsdestotrotz ist der 14. Juli ein Fest, an dem Frankreich sich selbst feiert, an dem Frankreich seine Stärke demonstriert. Es ist aber auch ein Fest, mit dem der Sommer und die Sommerferien beginnen. Es ist ein Tag, der in der Familie oder mit Freunden verbracht wird und der am Nachmittag zunehmend einen Volksfestcharakter bekommt und dann abends, wenn es dunkel geworden ist, mit einem Feuerwerk endet. Dass wieder in einer so schönen Stimmung so ein schreckliches Attentat passiert, bedrückt die Leute hier sehr.
domradio.de: Was bedeutet es genau für die französische Psyche, dass der Anschlag genau an diesem großen Festtag passierte?
Galetti: Der 14. Juli ist ja der Nationalfeiertag. Es wird die Erstürmung der Bastille gefeiert und daran erinnert, dass sich die Franzosen ihre Freiheit erkämpft haben. Das ist ein Tag, an dem vormittags die große Militärparade auf der Champs-Élysées stattfindet, an dem mittags dann der Präsident ein Fernsehinterview gibt und seine Leitlinien für das nächste Jahr ausgibt. François Hollande hat gestern angekündigt, er werde den Ausnahmezustand jetzt auslaufen lassen, er würde nicht verlängert werden. Heute Morgen nach dem Anschlag hat er bekannt gegeben, dass es weitere drei Monate den Ausnahmezustand geben wird. Das heißt, über 10.000 Soldaten werden in ganz Frankreich im Einsatz sein und auf die Sicherheit aufpassen.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.