DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat diese wichtige Rolle des Jesus von Nazareth für Sie?
Frederik Mayet (Schauspieler, Jesus bei den Oberammergauer Passionsspiele 2022): Es ist natürlich, wenn man hier in Oberammergau aufwächst und mit den Passionsspielen sozialisiert ist, etwas ganz Besonderes und etwas sehr Ehrenhaftes. Ich spiele die schon zum zweiten Mal. Ich war schon 2010 einer der beiden Jesus-Darsteller. Und als das bekannt gegeben wurde, da ist man natürlich absolut euphorisiert und begeistert.
Es ist eine riesige Ehre und da kommt natürlich auch eine große Verantwortung mit dazu, weil man bei diesem Passionsspiel natürlich auch in der Öffentlichkeit steht und das Spiel zum großen Teil auch tragen muss.
DOMRADIO.DE: Die Passionsspiele finden nach einer langen Pandemie statt, die immer noch anhält und während eines Krieges, der gar nicht so weit weg von uns ist. Und dann befindet sich auch noch die Kirche in einer Krise. Gehen Sie anders an die Rolle heran als damals, 2010?
Mayet: Ja und auch anders als 2020. Wir waren vor zwei Jahren nur acht Wochen vor der Premiere und auf einmal kam Corona in die Welt und hat unser Leben extrem bestimmt. Jetzt kam vor über zwei Monaten der furchtbare Krieg in der Ukraine dazu und dadurch hat sich unser Blick total geändert, auf das Spiel, auf Jesus, auf die Botschaft von Jesus.
Aber der Text hat sich gar nicht geändert, in den letzten zwei Jahren. Die ersten Sätze, die ich auf der Bühne spreche, sind: "Kommt, kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Kommt, die ihr geschwächt seid von der Last des Unglücks und des Kummers. Es herrscht eine Zeit der Angst in Israel. Kriegsgeschrei erfüllt das Land, Armut und Krankheit raffen euch dahin."
Da sind alle Themen gesetzt, die uns gerade so extrem beschäftigen. Da ist die Krankheit, die uns beschäftigt hat. Da ist die Armut drin, die Ungleichheit in der Welt, da ist das Kriegsgeschrei drin und das zieht sich durchs Passionsspiel. Man denkt sich, Wahnsinn, wie aktuell der Jesus mit seiner Botschaft ist, mit dem, was er wollte, mit dem Aufruf der Nächstenliebe. Oder weitergehende Feindesliebe, wo wir natürlich alle mit überfordert sind, letztendlich den Feind wirklich zu lieben. Aber natürlich, wenn jeder so handeln würde, würden wir wahrscheinlich fast paradiesische Zustände hier bei uns auf der Welt haben.
DOMRADIO.DE: Schauspielerinnen und Schauspieler berichten davon, dass sie von jeder Rolle, die sie spielen, etwas mitnehmen. Ist das bei Ihnen und Jesus Christus auch so? Hat die Rolle in manchen Punkten Ihr Denken und Handeln verändert?
Mayet: Ich glaube schon. Das ist natürlich diese intensive Auseinandersetzung, die wir hatten, auch schon vor zwölf Jahren und jetzt wieder. Wir waren zur Vorbereitung in Israel und man wird sich im Laufe der Zeit auf jeden Fall bewusster. Ich tue mich aber trotzdem mit der Feindesliebe furchtbar schwer. Auch wenn man versucht, in Jesus einzutauchen und ihn zu verstehen und die Worte auch zu meinen.
Das nimmt man natürlich auch mit und hat einen anderen Blick auf die Welt. Aber das auch im echten Leben zu leben, da tue ich mich natürlich genauso schwer, wie jeder andere auch. Aber ich glaube, der Blick auf die Welt ist vielleicht ein anderer.
DOMRADIO.DE: Mal abgesehen von der schauspielerischen Leistung braucht man wahrscheinlich auch eine gewisse Ausdauer für ihre Rolle?
Mayet: Ja, auf jeden Fall. Man muss dafür schon eine Grundfitness mitbringen. Also trainieren kann man das nicht wirklich. Das Kreuz zu tragen oder zu schleppen, das sind um die 90 Kilo. Und am Kreuz zu hängen, ist natürlich auch ziemlich anstrengend.
Man hängt circa 20 Minuten am Kreuz, ist natürlich dabei gesichert, aber es ist ziemlich unangenehm da zu hängen. So ausgesetzt, halb nackt und spielt dann praktisch den Todeskampf, spricht die letzten Worte am Kreuz und hängt dann noch mal etliche Minuten dort und versucht sich nicht zu bewegen und wird dann vom Kreuz abgenommen. Das ist manchmal ziemlich anstrengend.
DOMRADIO.DE: Nächsten Samstag geht es dann richtig los. Worauf freuen Sie sich am meisten? Wahrscheinlich, dass es überhaupt losgeht, oder?
Mayet: Genau so ist es, dass es nach dieser langen, entbehrungsreichen Zeit, die wir jetzt hatten, durch Corona wieder los geht. Hier in Oberammergau hat es letztes Jahr kein Theater gegeben, kein Konzert. Der Trachtenverein hat keine Gartenfeste gemacht, es gab kein Krippenspiel, die Restaurants waren teilweise monatelang geschlossen. Das soziale Leben lag brach.
Jetzt ist es so schön zu sehen, wie alle Lust haben, dabei zu sein, auf der Bühne zu sein. Das Dorf wacht auf, die Kinder sind beim Theater dabei. Die Älteste im Passionsspiel ist 96 Jahre alt und man merkt, wie gut das einfach jedem tut, dass man wieder zusammenkommen kann, wieder gemeinsam auf der Bühne stehen kann, dass Besucher kommen können. Das ist das, wo ich mich am meisten drauf freue.
Das Interview führte Tobias Fricke.