Krieg in Syrien

"Einfach nur mehr Bomben"

Während der Krieg in Syrien immer dramatischer wird, gibt es weltweit immer mehr Initiativen der Solidarität. Über so ein "Sturmbeten", ein "Lichtermeer für Aleppo" und die Situation vor Ort hat domradio.de mit der Kollegin Angela Krumpen gesprochen.

Kerzenlicht aus Aleppo / © Mutter und Schwester (ak)
Kerzenlicht aus Aleppo / © Mutter und Schwester ( ak )

domradio.de: Du hast syrische Nachbarn: drei Geschwister - dreizehn bis zweiundzwanzig Jahre alt - deren Mutter und die sechzehn Jahre alte Schwester sind noch in Aleppo. Sie hätten im Rahmen des Familiennachzuges nach Deutschland ausreisen dürfen, aber die beiden sind in Aleppo eingekesselt. In was für einer Situation befindet sich die Familie gerade?

Angela Krumpen: Die Familie ist getrennt. Im Oktober 2015 haben sich drei Kinder auf den Weg über das Mittelmeer gemacht, die Jüngste war damals zwölf, die ältere Schwester 20, der Bruder 21. Zusammen für und mit der Mutter und der 16-jährigen Schwester haben sie beschlossen, dass die Flucht für die beiden zu gefährlich sei. Also haben sie die zwei in Aleppo gelassen. Die drei Geschwister sind dann erst per Boot und dann über den Landweg nach Deutschland gekommen, es hat sie an den Niederrhein geführt. Ihnen wurde dort recht schnell alles genehmigt. Am 8. März haben sie einen Antrag auf Familiennachzug gestellt. Dann hat es sehr lange gedauert, bis sich Mutter und Schwester in einer deutschen Botschaft in Syrien vorstellen durften. Dieser Termin gilt als "Ticket zur Ausreise". Wäre der Termin eher gekommen, wären sie einfach zum Flughafen gegangen, hätten ein Ticket gekauft und wären in die Türkei geflogen. Aber der Termin in der Botschaft kam erst am 15. November. Ausreisen geht jetzt nicht mehr, die Grenze ist zu und es gibt auch keine Infrastruktur mehr. Damit ist die Familie zerrissen: drei Kinder sind hier, die Mutter und ein weiteres Kind sind in Syrien, der Vater ist schon tot.

Die Mutter hat mir dann einen Brief geschrieben:

"Guten Tag alle zusammen, ihr seid wirklich unsere Freunde der Menschlichkeit, danke dass Ihr Euch versammelt. Wir haben Euer Gebet hier wirklich sehr nötig. Die Situation ist sehr schlecht. Unsere Morgen sind blutig, unsere Nächste voller Terror und Sorgen. Wir erwarten den Tod in jedem Moment. Unsere Neuigkeiten sind lauter Ruinen und Zerstörungen. Der Krieg zerstört alles. Die Häuser, die Schulen, die Universitäten, selbst die Krankenhäuser, die Kindheit und das Alter. In klirrender Kälter schlafen die Menschen draußen auf den Straßen, auf den Kais. Viele Menschen sterben unschuldig und ohne zu wissen, warum. Ich bin keine Heldin, ich konnte das Leben und die Zukunft meiner Kinder nicht retten. Meine Kinder sind intelligent und fleißig. Sie besuchten die pharmazeutische und die medizinische Fakultät, meine Jüngste war immer Klassenbeste. Fern von ihnen trauere ich, ich bin sehr traurig. Ich möchte sie sehen, ich bin eine Märtyrerin, eine Mutter, so weit weg von ihren Kindern, mitten in einem Krieg, der keine Gnade kennt. Die Stücke meines Herzens, meine Kinder, sind bei Euch. Bitte passt auf sie auf, sie haben ihr Land verlassen, um Frieden und Sicherheit zu suchen und um studieren zu können. Vielen Dank für alles, was ihr meinen Kindern gebt. Ich danke Euch, für Eure Freundschaft, für Euer Gebet, für mich, für meine Tochter und für alle Menschen in Aleppo. Für alle Menschen, die leben wollen, trotzt allem."

domradio.de:  Ein Brief der unter die Haut geht. Wie hast Du den Brief belkommen?

Krumpen: Das war auf dem Weg nach Kevelaer. Dort gibt es ja eine große Initiative, ein weltweites Sturmbeten für Syrien, nach und mit Rupert Neudeck.

domradio.de:  Du betreust diese Friedensinitiative für domradio.de. Was hat es damit auf sich?

Krumpen: Da muss ich zurückgehen zum 28. August dieses Jahres, ein Tag mit Symbolcharakter. Es ist der Tag, an dem Martin Luther King seine berühmte Rede "I have a dream" gehalten hat. Deswegen hat Rupert Neudeck, der Gründer der Grünhelme, diesen Tag ausgesucht. Er hat gesagt: "Wir machen zu wenig, ich möchte noch eine große, internationale, interreligiöse Friedenswallfahrt schaffen." Er hat es 2015 initiiert, wollte 2016 wiederkommen, ist am 31. Mai aber gestorben. Diese Veranstaltung moderiere ich und dorthin habe ich die drei syrischen Geschwister mitgenommen. Sie haben dort von ihrer Flucht erzählt. Die Jüngste sagte auf die Frage, ob sie im Boot auf dem Mittelmeer keine Angst gehabt hatte: "Angst? Angst habe ich gehabt, als die Bomben auf meine Schule fielen und alle Kinder tot waren. Auf dem Mittelmeer hatte ich keine Angst."

Dann haben wir gemeinsam in Kevelaer auf der Bühne die Mutter in Aleppo angerufen. Im Hintergrund hat man die Maschinengewehre gehört. Und wenn so viele Menschen die drei Kinder sehen, die Mutter hören, den Krieg hören, dann bekommt das Ganze auf einmal ein Gesicht. Die Kevelaerer haben danach immer wieder nach der Mutter gefragt und waren sehr empört, dass sie nun nicht mehr raus kann, die Grenzen sind ja zu. Also haben sie für die Adventsmontage ein weltweites Sturmbeten ausgerufen, das gilt natürlich nicht nur dieser einen Mutter in Aleppo, sondern allen.

domradio.de:  Dazu kam auch ein Lichtermeer. Was ist das?

Krumpen: Das ist eine Möglichkeit, unsere ganze Ohnmacht auszudrücken. Denn alles ist besser, als nichts zu tun. Wir sammeln Kerzenbilder, die von überallher geschickt werden. Mittlerweile sind vier Kontinente dabei und wenn wir Glück haben, kommt auch ein Bild aus Australien. Die Menschen zünden Kerzen an und schicken uns die Bilder. Die kann man dann in einer Galerie sehen und ich hoffe, dass es bis Weihnachten ein ganzes Lichtermeer sein wird. Als ich von dem Sturmbeten gehört habe, hat mich das sehr bewegt, dass Menschen sagen: "Wir tun was, wir gucken nicht einfach nur zu". Aber ich hatte ja auch dazwischen immer noch mal mit der Mutter telefoniert und mich gefragt, was sie wohl darüber denkt. Danach habe ich erfahren, dass Assad wohl Flugblätter über Aleppo abwerfen lässt, auf denen steht: "Die Welt hat Euch vergessen. Niemand wird Euch retten." Und in dem Moment habe ich gedacht, dass man wirklich irgendwas machen muss! Über Facebook und Social Media sind wir verbunden und die Menschen in Aleppo sehen, dass sie nicht vergessen sind.

domradio.de:  Was waren denn die Reaktionen darauf?

Krumpen: Die Mutter hat die Facebookseite gesehen und hat auch ein Foto geschickt: Da stehen auf einem Boden ungefähr dreißig Kerzen, eine ist umgefallen und man sieht von der linken Seite noch die Hand der Schwester, die eine Kerze anzündet. Dieses Bild bewegt die Menschen unglaublich. Es ist das Verschwenderische daran, denn im Krieg hast Du einfach nicht so viele Kerzen, und dann zündet sie die einfach alle an. Viele Menschen schreiben außerdem, dass sie froh sind, dass es diese Initiative gibt, weil es ein Stück weit befreit aus dieser Hilflosigkeit und der Ohnmacht.

domradio.de:  Es gibt nicht nur Solidaritätsbekunden dort, sondern auch echte Hilfsangebote.

Krumpen: Genau, das ist das Prinzip der Kevelaerer: zum Wort auch das Werk kommen lassen. Das Wort ist das Gebet und das Werk ist das, was man machen kann. Sie haben von Anfang an Kontakt nach Syrien gesucht, zum Beispiel über die Grünhelme oder das Bistum Münster. Mittlerweile ist die Hilfe angelaufen, die ersten 30.000 Euro sind da.

domradio.de:  Habt ihr denn nun auch neue Nachrichten von der Mutter?

Krumpen: Die Kinder haben vorgestern zuletzt mit ihr telefoniert. Vor dem Haus gibt es einen Generator für Strom, darüber ist dann das Telefonieren übers Internet möglich. Die Jüngste erzählte davon, dass die arabischen Medien vieles erzählen, was nicht stimme. Darüber waren sie traurig. Und ansonsten: "Only more bombs - einfach nur mehr Bomben". Das Mädchen war acht, als der Krieg anfing, sie kennt es nur so.

Das Interview führte Milena Furman.


Quelle:
DR