Unruhen in Chile, ein Aufstand gegen mutmaßlichen Wahlbetrug in Bolivien, eine angekündigte Großdemonstration in Venezuela und ein bevorstehender Generalstreik in Kolumbien: Lateinamerika steckt in der Krise. Und fast immer sind es die gleichen Themen, die die Menschen vor Ort aufbegehren lassen.
Venezuela erlebt seit Jahren Massenproteste gegen die sozialistische Regierung von Präsident Nicolas Maduro. Doch weil der sich mit Hilfe brutaler Gewalt an der Macht hält, verlassen Millionen Menschen das Land und verschärfen so die sozialen Konflikte in den Nachbarregionen.
Ähnlich ist die Lage in Nicaragua, wo seit gut einem Jahr vor allem Studenten gegen das sandinistische Regierungsehepaar Daniel Ortega und Rosario Murillo demonstrieren. Die Bilanz der Polizeigewalt: mehr als 350 Tote.
Konflikte auch in Chile, Bolivien und Ecuador
Zuletzt kamen die Konflikte Chile, Bolivien und Ecuador hinzu. In Chile ist es der Ruf nach einer neuen Verfassung und einer sozialeren Politik, in Ecuador waren die Bürger nicht bereit, für einen Deal der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds über den Subventionsstopp für Benzin und Diesel zu bezahlen. Und in Bolivien wehrten sich Millionen Menschen gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug der Regierung des inzwischen ins Exil geflohenen Präsidenten Evo Morales.
Auch die nächsten Tage werden spannend: In Venezuela versucht Oppositionsführer Juan Guaido, seiner zuletzt erlahmten Bewegung neuen Schwung zu verschaffen. In dieser Woche stieg er sogar in die Metro von Caracas, um die Fahrgäste zur Teilnahme an der für Samstag geplanten Großdemo zu bewegen. In Kolumbien ist für nächste Woche ein Generalstreik geplant. Treibende Kraft sind die Studenten und ihre Forderung nach kostenfreiem Zugang zu Bildung.
Lateinamerikanische Bischofsrat spricht von "sozialer Explosion"
Der Lateinamerikanische Bischofsrat CELAM hat angesichts der aktuellen Krisen alle Beteiligten zu mehr Interesse am Gemeinwohl aufgerufen. In ganz Lateinamerika erlebe man eine Art "sozialer Explosion", die es bislang nicht gegeben habe, so CELAM-Präsident Hector Miguel Cabrejos, katholischer Erzbischof von Trujillo in Peru.
Er verweist auf die angespannte Lage in den Ländern Bolivien, Venezuela, Haiti, Honduras, Nicaragua, Puerto Rico, Ecuador, Chile und Peru. Als Gründe für die Unruhen macht Cabrejos "Korruption, einen Mangel an Demokratie, Armut, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, aber auch ein kaum funktionierendes Gesundheits-, Bildungs- und Transportwesen" aus.
Der Erzbischof verurteilt Gewalt jeder Art und ruft zu einer friedlichen Lösung durch einen Dialog aller wichtigen Akteure und Institutionen auf. Die verantwortlichen Politiker mahnte er, Immunität dürfe nicht zu Straflosigkeit führen.
Katholische Kirche um Vermittlerrollen bemüht
Der CELAM mit Sitz in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota lieferte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse zur Entwicklung von Theologie und Gemeindestrukturen in Lateinamerika. In jüngerer Zeit war seine Rolle merklich schwächer geworden. Mit der Amazonas-Synode im Oktober in Rom und dem inzwischen immer aktiver werdenden Amazonas-Netzwerk Repam ist eine gemeinsame lateinamerikanische Stimme aber wieder lauter zu hören.
Die katholische Kirche bemüht sich in fast allen Ländern um eine aktive Vermittlerrolle. In Ecuador gelang es ihr zusammen mit den UN, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Die Unruhen gingen zu Ende; nun wird nach Lösungen gesucht. In Nicaragua und Venezuela bleibt den lokalen Geistlichen nichts anderes übrig, als den von der Regierung verfolgten Oppositionellen Schutz zu bieten oder aktiv über Hilfsprogramme Not zu bekämpfen. In Chile wird die Kirche selbst zur Zielscheibe: In den vergangenen Wochen wurden ein halbes Dutzend Gotteshäuser Opfer von Vandalismus und Zerstörung.