Kritik an fehlender Solidarität mit Juden

Ruf nach mehr Schutz

Wenig Solidarität mit Juden, fehlende Empathie, stark steigende Zahlen antisemitischer Straftaten und Vorfälle: Einen Monat nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel haben Fachleute dessen Auswirkungen auf Deutschland beschrieben.

Autor/in:
Leticia Witte
Davidstern / © Julia Steinbrecht (KNA)
Davidstern / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zog daraus den Schluss, kurzfristig Haushaltsmittel für den Schutz jüdischer Einrichtungen bereitzustellen, damit diese nicht auf Kosten sitzen blieben.

Felix Klein / © Werner Schüring (KNA)
Felix Klein / © Werner Schüring ( KNA )

Auch sei es ein Irrtum, dass Deutschland wegen seiner NS-Geschichte "immun" gegen Antisemitismus sei, sagte Klein. Die Erinnerungskultur in Deutschland müsse mehr Zielgruppen erreichen, etwa auch Migrantinnen und Migranten.

Abschiebungen nutzen

Klein sprach sich im Fall von antisemitisch motivierter Straftaten zudem für ein konsequentes Durchgreifen aus, etwa für Abschiebungen. "Ich plädiere dafür, davon Gebrauch zu machen." Dies habe auch eine "erzieherische Wirkung".

Aus Sicht von Nikolas Lelle, Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung, haben sich längst Grenzen des Sagbaren verschoben, was auch mit dem Auftreten der AfD zu tun habe.

Wissenslücken

Hinzu komme, dass alle vom Antisemitismus "der anderen" sprächen – dabei müsse Judenhass erst einmal im eigenen Milieu bekämpft werden. Auch hätten Fachleute möglicherweise nicht oft genug deutlich gemacht hätten, was Antisemitismus bezogen auf Israel sei.

Nicht nur eine Wissens-, sondern auch eine Reflexionslücke machte die Forscherin und Co-Herausgeberin der Mitte-Studie, Beate Küpper, aus. Sie monierte zudem, dass ein "vermeintlich progressives Lager" oft zuerst reflexhaft und unkritisch auf die scheinbar Unterlegenen schaue. Das sei seit Jahrzehnten ein "Grundmuster", das blind mache, im konkreten Fall blind gegenüber der Hamas.

"Genozidale Botschaft" 

Deborah Hartmann, die Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, beklagte, dass bei dem Terrorangriff vor einem Monat oft die "genozidale Botschaft" ignoriert werde. Mittlerweile werde häufig vom Nahostkonflikt gesprochen anstatt darüber, dass es sich bei der Attacke der Hamas um einen Angriff bewusst auf Jüdinnen und Juden gehandelt habe. Insgesamt seien Gedenkstätten jetzt herausgefordert, klar Position zu beziehen.

Berliner Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz / © Marko Priske (epd)
Berliner Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz / © Marko Priske ( epd )

Die Fachleute äußerten sich in Berlin bei der Vorstellung des Zivilgesellschaftlichen Lagebilds Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung - und kurz vor dem Gedenken an den 85. Jahrestag der NS-Novemberpogrome von 1938 an diesem Donnerstag.

Angriffe auf Gedenkstätten

Im Zusammenhang mit dem Lagebild erinnerte Lelle daran, dass Gedenkorte mit israelfeindlichen Schmierereien und Stickern beschädigt würden. "Das zeigt: Jede Art von Antisemitismus in diesem Land bringt auch einen Ruf nach einem Schlussstrich mit sich."

Hartmann lenkte den Blick auch auf Angriffe auf Gedenkstätten aus dem rechtsextremen Lager. Aus ihrer Sicht haben Erinnerungsabwehr undIndifferenz zudem oft keine Konsequenzen.

Quelle:
KNA