In Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist in Erfurt der 103. Deutsche Katholikentag eröffnet worden. Steinmeier bedauerte den großen Vertrauensverlust der Kirchen. "Man muss wohl von einer epochalen Veränderung sprechen", sagte er vor rund 6.000 Gästen auf dem Domplatz. Er dankte den Katholiken für ihr Engagement in Kirche und Gesellschaft. Zugleich stellte er an die Adresse der Kirchenoberen kritische Fragen, etwa ob Menschen auf ihrer Suche nach Sinn immer kompetent begleitet werden.
Der Katholikentag findet zum ersten Mal in Erfurt statt. In den östlichen Bundesländern sind Christen eine kleine Minderheit, in Thüringen nur sieben Prozent katholisch. Ausgerechnet dort stärkt Steinmeier ihnen den Rücken. Trotz des epochalen Vertrauensverlusts der Kirchen durch den Missbrauchsskandal tragen Christen nach seiner Ansicht weiterhin stark zum Zusammenhalt in Deutschland bei. "Das ist für unsere ganze Gesellschaft ein Glück", betonte das Staatsoberhaupt.
"Geben die Kirchen zu wenig Anstoß?"
Allerdings gebe es in weiten Teilen der Gesellschaft eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Religiösen und dem, was über das Leben hinausweise. Dazu fragte Steinmeier, der den lilafarbenen Katholikentagsschal umgelegt hatte, nicht ohne kritischen Unterton: "Geben die Kirchen hier zu wenig Anstoß? Ist ihre Botschaft zu leise, zu blass, zu wenig profiliert?" Und weiter mit Blick auf Menschen, die auf der Sinnsuche seien: "Finden diese ernsthaft Suchenden überzeugende Antworten, finden sie geistliche Kompetenz, finden sie empathische Begleitung in unseren Gruppen, Gemeinden und Initiativen?"
Der Katholikentag im Superwahljahr steht unter dem Motto "Zukunft hat der Mensch des Friedens". Er dauert bis Sonntag und kostet rund sieben Millionen Euro. Erwartet werden mehr als 20.000 Teilnehmende. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere Bundesminister wollen nach Erfurt kommen.
Papst warnt vor Rassismus und Extremismus
In einem Grußwort rief Papst Franziskus alle Christen zum Einsatz gegen Ausgrenzung auf. Ohne Gerechtigkeit gebe es keinen Frieden. Franziskus wörtlich: "Nicht nur in Europa, sondern auch an anderen Orten der Welt scheinen momentan grundlegende Menschenrechte gefährdet: durch zunehmenden Antisemitismus, durch Rassismus und weitere, zu Extremismus und Gewalt tendierende Ideologien."
Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr äußerte die Hoffnung, dass vom Christentreffen in der Stadt Impulse ausgehen "für den Frieden in unserer Welt, in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche". Er fügte hinzu: "Üben wir uns darin, Argumente abzuwägen und zu überprüfen. Üben wir uns in der Bereitschaft, unsere Meinung zu ändern."
Katholikentags-Präsidentin Irme Stetter-Karp hatte zuvor zum Eintreten für die akut bedrohte Demokratie aufgefordert. Ohne die AfD zu nennen, erläuterte Stetter-Karp den nicht unumstrittenen Beschluss, keine Personen dieser Partei zu den Foren einzuladen: "Menschen, die sich in Parteien organisieren, die auf Ausgrenzung und völkischen Nationalismus setzen, haben auf unseren Podien keinen Platz. Hier ziehen wir eine klare Grenze."