Kunstreferentin für gelassenen Umgang mit Werbeaktion

"Sinnentleerter Missbrauch eines Symbols"

Leicht geschürzt hängt Model Sophia Thomalla wie Jesus am Kreuz. Das Ganze für eine Werbeaktion. Das ZdK zeigt sich entrüstet. Als sinnentleert bezeichnet es dagegen eine Kunstexpertin des Erzbistums Köln und rät zu Gelassenheit.

Sophia Thomalla / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Sophia Thomalla / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Szene steht unter dem Slogan "Weihnachten wird jetzt noch schöner". Da stimmt was nicht, oder?

Dr. Anna Pawlik (Kunsthistorikerin des Erzbistums Köln): Das war auch mein erster Gedanke. Was hat Weihnachten mit dem Kreuzestod Christi zu tun? In der kirchlichen Heilsgeschichte hängen beide Ereignisse natürlich zusammen, nur dann sind die Chronologien hier ja merkwürdig verdreht. Ich glaube nicht, dass die Macher der Kampagne so weit gedacht haben. Daher bleibe ich bei meinem ersten Eindruck: Da wird etwas sehr sinnentleert schlichtweg missbraucht.

 

DOMRADIO.DE: Können Sie in der Darstellung denn überhaupt einen Hauch von Kunst entdecken?

Pawlik: Die Geschichte der Kunst und das, was Kunst sein möchte oder in den Augen des Betrachters sein kann, haben sich in den letzten tausend Jahren massiv gewandelt. In den letzten zweihundert Jahren ist  eine Vielzahl von neuen Medien hinzugekommen, gerade auch in der zeitgenössischen Kunst, Videokunst zum Beispiel oder Lichtkunst – und damit auch sehr viele neue Möglichkeiten. Dazu gehört, dass Kunst auch eine emotionale und intellektuelle Herausforderung sein kann, vielleicht in gewissen Zusammenhängen auch sein muss. Das heißt, der Betrachter soll sich mit der Kunst auseinandersetzen, soll in eine Art Zwiegespräch mit ihr kommen. Man muss nicht immer alles sofort verstehen; nicht jedes Beschriftungsschildchen kann einem sofort erklären, was der Künstler einem sagen wollte. Aber es gibt natürlich eine Grenze zu dem, was Kunst ist und was nur ein billiger Missbrauch eines christlichen Symbols ist. Letzteres ist hier der Fall.

DOMRADIO.DE:  Zumal wir es ja hier mit einer Werbeaktion zu tun haben, hier geht es ums Kaufen, um Kommerz.

Pawlik: Genau! 

DOMRADIO.DE: Als "geschmacklos und dumm" hat der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, die Aktion bezeichnet. Schließen Sie sich dem vorbehaltlos an?

Pawlik: Dem Urteil "dumm" würde ich mich sofort anschließen, weil das Ganze buchstäblich Unsinn ist. Irgendwie hat man den Eindruck, nur weil es um Christus geht, wird da Ostern und Weihnachten vermischt. Die Frage ist natürlich auch: Was sagt mir das in Hinblick auf die Werbebotschaft für eine Lottofirma? Geschmacklos – das liegt immer im Auge des Betrachters. Meines Erachtens haben wir es hier vor allem mit der Zurschaustellung einer Person zu tun, die hier völlig sinnentleert ist.

DOMRADIO.DE: Empfinden Sie die Darstellung auch als sexistisch? Sophia Thomalla hängt da schließlich leicht bekleidet in lasziver Pose?

Pawlik: Die Inszenierung mit diesen offenen Haaren soll wohl auch an Christusdarstellungen anknüpfen, vermute ich. Das ist natürlich mehr als schwierig. Sexistisch ist das Ganze wahrscheinlich nicht mehr oder weniger als andere Werbungen, die wir kennen und an die wir uns leider längst gewöhnt haben. 

DOMRADIO.DE: In dieser Kombination hat es natürlich noch einmal einen besonderen Beigeschmack, geht so in Richtung Blasphemie?

Pawlik: Ja, in irgendeiner Art und Weise spielt das Ganze schon mit dem Tabubruch, sonst wäre dieser Mensch, der das konzipiert hat, wohl nicht darauf gekommen. Ich glaube, das steckt letztlich dahinter und hat ja auf gewisse Weise auch schon funktioniert hat.

DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie so etwas sehen? Fühlen Sie sich in Ihren religiösen Gefühlen verletzt?

Pawlik: In meinen persönlichen religiösen Gefühlen fühle ich mich nicht verletzt, dafür habe ich es vielleicht zu schnell durchschaut und habe irgendwie so die Achseln gezuckt und gedacht: "Ach – das jetzt auch noch!"

DOMRADIO.DE: Interessant ist natürlich auch die Debatte, die sofort rund um die Werbekampagne entbrannt ist.

Pawlik: Das ist natürlich genau das, was die Macher der Kampagne letztlich wollten: Alle reden jetzt über eine Firma, die zumindest mir persönlich vorher überhaupt nicht bekannt war. Insofern hat der Werbeaspekt ja leider schon funktioniert.

DOMRADIO.DE: Vielleicht noch ein Wort zum Boulevard-Blatt, das das Ganze publik gemacht hat, der "Bild".

Pawlik: Die Bild-Zeitung ist jetzt der Meinung, sie müsse ihre Leser darüber aufklären, dass Karfreitag und Weihnachten hier nichts miteinander zu tun haben. Sie gefällt sich also ein bisschen in der Rolle der Ehrenretterin der Kirche.

DOMRADIO.DE: Was halten Sie für eine angemessene Weise, auf diese Kampagne zu reagieren?

Pawlik: Am besten würde man es ja ignorieren.

DOMRADIO.DE: Das machen wir ja jetzt gerade auch nicht. Aber stellen wir uns mal vor, jemand hätte auf vergleichbare Weise den Propheten Mohammed in einer Werbung "benutzt". Da wäre wahrscheinlich die Hölle los. Was zeigt, dass christliche Symbole sich so relativ folgenlos missbrauchen lassen?

Pawlik: Das ist eine Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Ich denke, dass wir als Christen da dickhäutiger sind, auch wenn wir uns vielleicht schon verletzt, uns angegangen fühlen und auch irgendwie angesprochen fühlen. Es ist schwierig, das so pauschal zu äußern. Der ZdK-Präsident hat sich dazu geäußert, wir äußern uns gerade dazu, verurteilen das in gewisser Weise.

DOMRADIO.DE: Aber wir würden nicht hingehen und ein Plakat abfackeln.

Pawlik: Das würde natürlich auch nicht jeder Muslim tun. Die Frage ist, was wir grundsätzlich aushalten. Toleranz und ein dickes Fell kommen da ins Spiel. Einfach zu sagen: "Das betrifft mich nicht persönlich" – und es als das zu sehen, was es ist: nämlich ein sinnentleerter, in gewisser Weise wirklich dummer Missbrauch, ein völliges Unverständnis dessen, was da eigentlich gezeigt werden soll. Es sollte offensichtlich ein Tabubruch sein, das hat in gewisser Weise funktioniert. Aber dass das inhaltlich alles gar keinen Sinn macht, ist ja das Andere. Wenn wir das als Christen für uns in einer angemessenen, intellektuellen Weise diskutieren, ist das doch der beste Weg, damit umzugehen. 

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.

 

Anna Pawlik / © dr (DR)
Anna Pawlik / © dr ( DR )
Quelle:
DR