"Selbstverständlich spricht der Papst nicht von einer anderen Kirchenverfassung, die er gar nicht ändern könnte", sagte der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation in der Freitagsausgabe der "Passauer Neuen Presse".
Es gehe vielmehr "um den Stil der Ausübung des Lehr-, Leitungs-, und Heiligungsamtes", das Christus den Aposteln und ihren Nachfolgern im Petrusdienst und Bischofsamt anvertraut habe. "Diese Redeweise von 'oben' und 'unten' mit den Bildern des Gottesvolkes als Basis und dem Episkopat mit dem Papst als Pyramidenspitze hat sich eingebürgert und bleibt doch schematisch und irreführend", so der Kardinal.
Studie zum Thema Papsttum im Februar 2017
Der Glaubenspräfekt kündigte an, im Februar 2017 eine umfassende Studie zum Thema Papsttum, Episkopat, Synode und Ökumene vorzulegen. Ebenso werde die päpstliche Internationale Theologenkommission unter seiner Leitung eine Studie zur Synodalität herausgeben.
Papst Franziskus hatte kürzlich in einem Interview der belgischen Zeitschrift "Tertio" gesagt, dass er ein gemeinschaftliches Leitungsmodell für die Kirche anstrebe. Nachdrücklich warb er für das Prinzip der sogenannten Synodalität. Dieses verlange, nicht "von oben nach unten" zu regieren, sondern "die Ortskirchen zu hören, sie zu harmonisieren, zu unterscheiden".
Warnung vor Polarisierung
Nach dem offenen Brief von vier Kardinälen, die vom Papst mehr Klarheit über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen fordern, hat Kardinal Müller vor "Polarisierung und Polemik" gewarnt. Eine "Diskussion auch kontroverser Ansichten im Kardinalskollegium und im Episkopat mit dem Bischof von Rom" sei indes normal, sagte der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation.
Zu den vier Kardinälen, die kürzlich ihre Anfrage an den Papst publik gemacht hatten, gehören auch der frühere Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner und der deutsche Kardinal Walter Brandmüller. Weitere Unterzeichner sind der US-amerikanische Kardinal Raymond Leo Burke sowie der frühere Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra. Sie fordern vom Papst unter anderem eine Klärung, ob eine Kommunionzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen nach seinem Schreiben "Amoris laetitia" nun in Ausnahmefällen möglich sei.
"Keine Ausnahme von der Unauflösbarkeit einer sakramentalen Ehe"
Müller betonte: "Da das Lehramt nicht über dem Wort Gottes steht, sondern ihm dient und es treu auslegt, wie das II. Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung klar erläutert, kann es bei der Erklärung des geoffenbarten Glaubens keinen Widerspruch geben zur Heiligen Schrift und zur Lehre der Apostel und der bisherigen definierten Glaubenslehre der Kirche." Es werde in "Amoris laetitia" ausdrücklich gegen jeden Zweifel betont, dass dieses Schreiben in voller Kontinuität mit der in der Heiligen Schrift begründeten Glaubenslehre der Kirche stehe.
"Es gibt keine Ausnahme von der Unauflösbarkeit einer sakramentalen Ehe", sagte Müller mit Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Die vom Papst erwähnten Einzelfälle bezögen sich auf die Frage, "ob alle natürlichen Voraussetzungen (vor allem der Ehewille) und das rechte Verständnis der Ehe im Glauben im Augenblick des Eheabschlusses gegeben waren oder nicht".
Im Normalfall, so der Kurienkardinal, werde in einem geordneten kirchenrechtlichen Verfahren geklärt, ob es sich um eine gültige Ehe gehandelt habe. Mit den Einzelfällen seien Situationen gemeint, in denen zwar kirchenrechtlich keine Klarheit erreicht werden könne, "aber ein einzelner Mensch in seinem Gewissen und nach einer sorgfältigen Beratung mit seinem Beichtvater ehrlich zur Überzeugung von der Ungültigkeit des damaligen Eheabschlusses kommt". Klar sei jedoch: "Es ist keine Tür geöffnet zu einer Art von 'katholischer Ehescheidung', die man heimlich anzielt und mit frömmelnden Worten verschämt bemäntelt."
Hilfe bei Aufarbeitung von Missbrauchsfällen
Die Aufarbeitung der Misshandlungs- und Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen will Kardinal Müller unterstützen. Er wolle mit Rechtsanwalt Ulrich Weber zusammenarbeiten, der im Auftrag des Bistums Regensburg die Missbrauchsfälle untersucht, sagte der frühere Regensburger Bischof. Der Kurienkardinal erklärte, was er zur Aufklärung der Straftaten beitragen könne, das werde er Weber mitteilen.
Die Frage, ob er zu einem Gespräch mit Opfervertretern bereit sei, beantwortete Müller mit dem Hinweis, persönliche seelsorgerliche Gespräche blieben "ihrer Natur nach vertraulich". Solche Gespräche waren von Opfervertretern gefordert worden.
Der Geistliche betonte, dass er in seiner Funktion als Oberhirte "ab Frühjahr 2010 nach den erstmaligen Meldungen dieser schweren Delikte an die Bistumsleitung den Aufklärungsprozess initiiert und strukturiert" habe. Er sei "froh und dankbar", dass unter seinem Nachfolger Rudolf Voderholzer "das 2010 Begonnene mit großem Engagement fortgesetzt wird".
Der Versuch, "einen früheren Bischof von Regensburg gegen den jetzigen auszuspielen", scheitere angesichts der Tatsachen, so Müller weiter. "Die gezielt verbreiteten postfaktischen Behauptungen, ich hätte die Aufklärung sogar noch drei Jahre über das Ende meiner Amtszeit am 1. Juli 2012 hinaus verzögert und sogar verhindert, sind schlichtweg falsch, weil sie den Tatsachen widersprechen."
Bei dem weltberühmten Regensburger Knabenchor kam es zwischen 1953 und 1992 in Hunderten Fällen zu körperlicher und sexueller Gewalt. Der Rechtsanwalt Ulrich Weber untersucht die Vorfälle seit Mai 2015. Der unabhängige Sonderermittler sprach im Januar in einem Zwischenbericht von einem "System der Angst", das jahrzehntelang in den Einrichtungen der Domspatzen geherrscht habe. Seinen Abschlussbericht will er Anfang 2017 vorlegen.