KNA: Herr Kardinal, im Vatikan ist ein Konferenz-Marathon zum Thema Kurienreform zu Ende gegangen. Was ist das Ergebnis der Woche?
Marx: Ein Ergebnis können wir noch nicht haben, denn die Kurienreform ist ein längerer Prozess. Aber es war wichtig, dass die Kardinäle zum ersten Mal seit dem Vorkonklave intensiv über diese Fragen sprechen konnten. Unser Rat der Kardinäle hat einen Zwischenbericht über seine bisherigen Schritte vorlegt, der auf großes Interesse stieß. Wir müssen die vielen Wortmeldungen und auch die schriftlichen Berichte jetzt auswerten. Ein Konsistorium ist kein Beschlussorgan. Aber für die Reform der Kurie ist es wichtig, die Meinung vieler zu hören: Auch von den älteren Kurienkardinäle mit ihren reichen Erfahrungen, wie auch von den Kardinälen aus den Ortskirchen, die Verbesserungsvorschläge einbringen möchten.
KNA: Das klingt noch nicht sehr konkret?
Marx: Einen wesentlichen Schritt weitergekommen sind wir bereits mit der neuen vatikanischen Finanzverfassung. Wir haben in der K9-Gruppe darüber beraten und Entscheidungen vorbereitet. Das ist jetzt praktisch abgeschlossen, und wir konnten diese Reform den Kardinälen bereits vorstellen. Es ist in gewisser Weise eine Revolution, eine wirkliche Veränderung dessen, was bislang da war. Die Resonanz im Konsistorium war sehr positiv. Es handelte sich ja immerhin um ein wichtiges Anliegen des Vorkonklaves.
KNA: Wie war das Klima beim Konsistorium? Geht der Elan des Vorkonklaves vom März 2013 jetzt unter Leitung von Papst Franziskus auf dem dort angesprochenen Kurs weiter?
Marx: Natürlich hat man mitunter den Eindruck, dass wir wieder in die Ebene kommen. Aber anderthalb Jahre sind keine lange Zeit, wir müssen versuchen, den Schwung aufzunehmen und voranzubringen. Dazu hat nach meinem Eindruck überraschenderweise auch unsere Präsentation der neuen Finanzverfassung beigetragen. Viele Kardinäle haben gesehen, dass wirklich etwas passiert und vorankommt und zwar im positiven Sinn.
KNA: Die Arbeit an der Kurienreform dauert länger als erwartet. Woran liegt das?
Marx: Das liegt am Thema. Kurienform bedeutet nicht, dass man einfach alles umwirft. Die Vorbereitung der Konstitution "Pastor bonus" von 1988 hat immerhin fünf Jahre gedauert. Unsere K9-Gruppe ist noch nicht einmal eineinhalb Jahre an der Arbeit. Das ist nicht viel für ein so großes Projekt und eine so große Organisation. Aber der Zwischenschritt hat gezeigt, dass wir vorankommen, Schritt für Schritt. Zudem hat der K9-Rat neben Kurienreform und Finanzen auf Wunsch des Papstes auch andere Themen erörtert, etwa die Kinderschutzkommission oder die Bischofssynode. Allerdings bin ich der Ansicht, dass man die Kurienreform in Etappen angehen muss. Man kann nicht warten, bis in fünf oder sechs Jahren eine neue Konstitution fertig ist. Vorher wird man ja sicher auch noch einmal die Meinung der Bischofskonferenzen einholen. Wir müssen mit den Personen und Instanzen beraten, die die besonderen Interessenten einer Kurienreform sind, die Kurie, der Papst und die Bischöfe der Weltkirche. Aber auf dem Weg wurden schon konkrete Reformprojekte in Gang gebracht wie jetzt die neue Finanzverwaltung.
KNA: Was ist bei der Reform wichtiger, neue Strukturen oder neue Mentalitäten?
Marx: Beides. Es geht nicht nur um Strukturen. Strukturen sollen auch Mentalitäten beeinflussen, und Mentalitäten beeinflussen Strukturen. Ich weiß, dass gewisse Vorbehalte gegenüber Strukturen bestehen. Aber der Geist braucht auch institutionelle Rahmenbedingungen, die ihn befördern. So braucht der Geist der Kollegialität eine institutionelle Ordnung, etwa indem man bestimmte Absprachen einhält oder dass man dadurch, dass man ein gemeinsames Budget hat, gezwungen ist, mehr miteinander zu reden. Das hilft dann auch der Mentalität. Aber wenn die Bereitschaft nicht da ist, dann nützen alle Strukturen nichts. Natürlich ruft der Begriff Reform viele Fantasien hervor. Wichtig wird sein, die Eckpunkte zu setzen. Das heißt, ein besseres Verhältnis von Universalkirche und Ortskirche, mehr Subsidiarität - dieses Wort ist immer wieder gefallen, aber man muss es auch konkretisieren.
KNA: Nochmals zum Finanzbereich: Ein Kardinal sprach von Widerständen gegen eine Vereinheitlichung der Vatikanbilanzen. Manche Behörden wollten ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit nicht aufgeben. Können sich die neuen Strukturen hier durchsetzen?
Marx: Davon gehe ich aus. Ich würde mich nicht in einem Rat engagieren und viele Stunden und Tage in Rom verbringen, wenn sich der Eindruck breitmachen würde, das hätte überhaupt keine Wirkung. Sicher ist es nicht einfach, solche enormen Veränderungen - was Zuständigkeit, Transparenz oder Verantwortlichkeit betrifft - umzusetzen. Das geht nicht in wenigen Wochen. Aber man muss an dem Thema dran bleiben. Nach der positiven Resonanz, die wir jetzt beim Konsistorium erlebt haben, bin ich sehr zuversichtlich.
KNA: Kardinal George Pell vom Wirtschaftssekretariat hat Medienberichten zufolge von 1,5 Milliarden Dollar gesprochen, die man jetzt im Vatikan «gefunden» hat, und die bislang in den Bilanzen nicht erfasst waren. Ist der Besitz des Vatikan um ein Drittel höher als bislang erwartet. Ist die Finanzlage rosiger als vermutet?
Marx: Nein. Solche Zahlen sind wenig hilfreich, und ich persönlich bin immer zurückhaltend mit der Nennung von Zahlen. Denn Vermögenszahlen machen nur dann Sinn, wenn ich sie in Verbindung zu den Verpflichtungen setzte, die ich habe. Bis jetzt war es eben unüblich und eben auch in gewisser Weise unmöglich einen wirklichen Gesamthaushalt zu führen, der internationalen Standards entspricht. Das muss sich ändern. Es geht um möglichst hohe Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Sinne der Zweckbindung des kirchlichen Vermögen, das ja für die Armen, die Evangelisierung im besten Sinne des Wortes und für die Bezahlung der Mitarbeiter - und zwar nachhaltig für Generationen - da ist. Darum müssen wir uns in der Kirche weltweit mühen, auch in Deutschland.