Lage der Menschenrechte in Brasilien weiterhin sehr problematisch

50 Jahre nach dem Militärputsch

Im April 1964 putschten sich in Brasilien rechte Generäle blutig an die Macht ‑ es folgten 20 lange Jahre Folter und Repression. Norbert Bolte vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat spricht im Interview über die Aufarbeitung in Brasilien.

 

Demonstration für Demokratie in Brasilien (dpa)
Demonstration für Demokratie in Brasilien / ( dpa )

domradio.de: Mit Dilma Roussef hat Brasilien seit 2011 eine Präsidentin, die zur Zeit der Militärdiktatur selbst im Gefängnis gesessen hat und gefoltert wurde. Welche Rolle spielt das für die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels brasilianischer Geschichte?

Norbert Bolte: Zunächst einmal war die Wahl Dilma Roussef, einer Widerstandskämpferin, eines Opfers der Militärdiktatur, ein starkes Zeichen seitens der Bevölkerung und damit hat die Bevölkerung Brasiliens, die im Laufe der letzten Jahre demokratisch sehr viel reifer geworden ist, das formuliert, was sie auch bei Lula schon getan hat, nämlich: Wir wollen jemanden an der Macht und als Präsident haben, der in der Zeit der Militärdiktatur eben zu den Opfern gehörte. Lula hatte auch einmal im Gefängnis gesessen.

domradio.de: Wie gesagt: Seit 2012 gibt es eine Wahrheitskommission, bei der auch Roussef schon ihre Finger im Spiel hatte. Hat die schon neue Erkenntnisse, neue Ergebnisse an die Öffentlichkeit gebracht?

Bolte: Zunächst einmal war es von der Präsidentin ein sehr wichtiges Zeichen, diese Wahrheitskommission ins Leben zu rufen. Dadurch können mehr Anstöße für eine Aufarbeitung in die Gesellschaft hineingegebenen werden. An Fakten hat diese Kommission bisher noch nicht sonderlich viel Neues hervorgebracht, aber sie arbeitet ja noch. Das meiste ist bekannt, bekommt aber durch die Arbeit dieser Kommission eine neue, größere Öffentlichkeit. Neu dürfte es sein, das Ausmaß zu registrieren, in dem die Landbevölkerung Brasiliens in abgelegenen Regionen verfolgt wurde; und vor allen auch wie die indigene Bevölkerung in dieser Zeit Opfer der Verfolgung wurde.

domradio.de: Brasilien ist ja ein junges Land ‑ spielt denn die Diktatur, die Vergangenheit im Bewusstsein der heute 20- oder 30-jährige überhaupt noch eine Rolle?

Bolte: Ich finde es sehr interessant zu beobachten, dass gerade in der jungen Generation ein Interesse an dieser Vergangenheit besteht. Vielleicht fällt es dieser jungen Generation auch leichter, auf diese Zeit zu schauen, die sie nicht selbst erlebt hat. Ich bin beeindruckt davon, auf meinen Reisen gesehen zu haben, wie sich gerade junge Leute organisiert haben, indem sie Proteste vor den Häusern der Täter veranstaltet haben, indem sie Erinnerungsveranstaltungen anlässlich der Ermordung, des Verschwindens von früheren Kommilitonen durchgeführt haben.

domradio.de: Polizeigewalt, Diskriminierung, Rassismus ‑ das waren Probleme während der Diktatur. Probleme, die aber leider auch im Brasilien von heute weiterbestehen, oder?

Bolte: In der Tat. Die Situation der Menschenrechte in Brasilien ist weiterhin sehr problematisch. Eine sehr unrühmliche Rolle spielt vor allem die Militärpolizei, die sogenannte policia militar, die gerade in der Zeit der Militärdiktatur stark aufgestellt war. Ihr allein werden in Bundesstaat Rio jedes Jahr etwa 1.000 Todesfälle zugeschrieben. Ich denke aber, diese von Ihnen skizierten Probleme Polizeigewalt, Diskriminierung, Rassismus sind Zeichen einer noch viel tieferen Traumatisierung dieses Landes: Ich denke da vor allem an die Geschichte von 400 Jahren Sklaverei, die erst vor 120 Jahren beendet wurde, die allerdings bis heute noch, wenn auch im Verborgenen weiter existiert.

domradio.de: Hier in Deutschland hat die deutsch-brasilianische Initiative „Nunca mais" zum 50. Jahrestag des Putsches die "Nunca mais" Brasilientage organisiert ‑ Sie selbst haben auch in der Arbeitsgruppe gesessen. Was wollen Sie mit diesen Brasilientagen bewirken?

Bolte: Diese Plattform "Nunca mais" möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, ein Stück der Aufarbeitung der Vergangenheit zu leisten, die in Brasilien bisher noch nicht sehr intensiv angeschaut wurde. Wir möchten damit aber auch zeigen, dass es auch hier ermutigende Zeichen des Widerstands und der Solidarität gab, gerade auch Köln oder das Ruhrgebiet sind Orte, an denen sich Gruppen von Menschen zusammengetan haben, um Flüchtlinge aufzunehmen, um Exilierte hier unter Schutz zu stellen. Wir möchten mit diesen Brasilientagen das deutsch-brasilianische Verhältnis in der Zeit der Militärdiktatur anschauen und das war bisweilen alles andere als rühmlich. Wir möchten mit ein paar Veranstaltungen vor allem in Berlin, im Köln-Bonner Raum und in Frankfurt zeigen, dass Verbrechen wie damals auch heute noch passieren; dass die Polizei Menschen entführt und foltert, sie ermordet, vor allem in den Slums; dass Gewerkschafter, Umweltaktivisten Angehörige indigener Völker verfolgt werden; dass eine massive Straflosigkeit herrscht; und dass hinsichtlich der Proteste in Brasilien von 2013 eine Kriminalisierung der sozialen Bewegungen stattfindet, in denen Menschen sich zusammenfinden, um für ihre sozialen Rechte in der brasilianischen Gesellschaft kämpfen.


Quelle:
DR