Norbert Lammert liebt die Wortakrobatik. Bei manch halsbrecherischem Satzbeginn scheint er am meisten beglückt darüber, wie es ihm gelingt, die Konstruktion nach einigen Girlanden zu einem grammatikalisch fehlerfreien Ende zu führen - quittiert mit einem selbstzufriedenen Lächeln. Auch deshalb haben viele seinen Abschied nach zwölf Jahren als über die Parteigrenzen hinaus anerkannter Präsident des Bundestags bedauert.
Ökumenischen Predigtpreis 2017 für sein Lebenswerk
Mit der Wahl zum Vorsitzenden der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) am Freitag in Berlin hat er eine neue Bühne, um seine Sprachkunst in den Dienst von Demokratie und Gemeinwohl zu stellen.
Für seine Rhetorik im Dienste Gottes besteigt der Katholik auch gerne mal die Kanzel. Am Sonntag nimmt er in der Bonner Schlosskirche den Ökumenischen Predigtpreis 2017 für sein Lebenswerk in Empfang.
"Viele der politischen Reden Lammerts wirken wie Predigten"
Allerdings gilt die Ehrung weniger dem engagierten Ökumene-Fan, sondern ausdrücklich dem verdienten Politiker. "Viele der politischen Reden Lammerts wirken wie Predigten", heißt es durchaus zweideutig in der Begründung. Vermutlich wird er auch diesmal mit gewohnter Ironie und Dialektik darauf reagieren.
Bei seinem Abschied aus der aktiven Politik hatte er versichert, dem politischen Geschehen verbunden zu bleiben. Da er seit 2001 stellvertretender KAS-Vorsitzender ist, lag seine Kandidatur für den Vorsitz nahe. Doch hatte sich auch die deutsche Vatikanbotschafterin Annette Schavan Hoffnung auf die Nachfolge von Hans-Gert Pöttering gemacht. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel schien offenbar nicht abgeneigt, ihre Vertraute zu unterstützen.
Widerstand gegen Schavan
Es gab allerdings Widerstand gegen Schavan - auch aus den Reihen ehemaliger Stipendiaten. Die Kritiker verwiesen auf den fehlenden Hochschulabschluss nach der Aberkennung ihres Doktortitels. Schavan zog sich schließlich zurück, wie sie im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte: "Das ist für mich definitiv abgeschlossen."
Damit war der Weg frei für Lammert, auch wenn er wohl nicht der Favorit der Kanzlerin war. Dafür sei er oft zu unabhängig und eigenwillig, hieß es hinter den Kulissen. Mehrmals legte er sich im Namen des Parlaments mit der Regierungschefin an - vom Atomausstieg bis zur Griechenlandhilfe - und erwarb sich zugleich den Beinamen "der Unfehlbare". Er habe der Regierung "wenn nötig den ihr im Grundgesetz zugewiesenen Platz zugeordnet", bekannte Merkel zum Abschied. Mehrmals wurde Lammert auch als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt; den Zuschlag erhielten andere.
Regelmäßiger Gast auf Katholikentagen
Politische Stiftungen sind laut Satzung parteinah, aber unabhängig. Unter Lammert dürfte letzteres stärker in den Vordergrund treten. Der 69-Jährige ist ein Intellektueller, der in seiner Karriere schon viele Debatten anstieß. Seit 1980 gehörte er dem Bundestag an. Von 1969 bis 1972 hatte er Politik, Soziologie, Neuere Geschichte und Sozialökonomie studiert - in Bochum und für ein Semester in Oxford. 1975 promovierte er an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Bochum.
Honorarprofessor, NRW-Landesgruppenchef der CDU im Bundestag, profilierter Kulturpolitiker und Staatssekretär - so lauteten weitere Stationen. Zugleich gehört der Altstipendiat des bischöflichen Cusanuswerks zu der schrumpfenden Zahl von Unionspolitikern, für die der Glaube öffentliche Relevanz besitzt. Seit Jahrzehnten ist er regelmäßiger Gast auf Katholikentagen.
Erste Rede eines deutschen Papstes vor deutschem Parlament
Als Bundestagspräsident lud er Papst Benedikt XVI. ein. Die erste Rede eines deutschen Papstes vor einem gewählten deutschen Parlament zählt Lammert zu den Höhepunkten seiner Karriere. Bei aller sorgfältigen Trennung von Politik und Religion plädiert er zugleich für "eine intelligente Verbindung".
Sich selbst bezeichnet er als "protestantisch veranlagten Katholiken". Dabei nutzt er seine Prominenz auch, um innerkirchliche Reformen zu fordern. Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, rügte ihn einmal als "theologisierenden Politiker". Als Leiter der Stiftung einer Partei mit dem "C" im Namen verspricht Lammert in jedem Fall lebendige Debatten.