Es ist einer der letzten warmen Tage Ende September. Wir sitzen im Innenhof der Katholischen Wohnungslosenseelsorge Gubbio. Die Stimmung ist herzlich. Man kennt sich und freut sich darüber, sich wiederzusehen. Es gibt Kaffee und Kuchen. Eigentlich alles wie immer. Nur ein paar Dinge sind anders als sonst.
An den meisten Tischen sitzt nur eine Person. Man versucht sich über die Tische hinweg mit den anderen Gemeindemitgliedern zu unterhalten. Sobald jemand von seinem Platz aufsteht, muss die Mund-Nasen-Bedeckung angezogen werden. Die Obdachlosenseelsorgerin Schwester Christina Klein achtet sehr darauf, dass die Hygiene- und Abstandsregeln im Gubbio eingehalten werden, damit die Arbeit in der Wohnungslosenseelsorge weitergehen kann. "Gerade im Lockdown im Frühjahr war die Arbeit nicht einfach", erzählt Schwester Christina Klein. "Viele Einrichtungen waren geschlossen und den obdachlosen und wohnungslosen Menschen fehlten die sozialen Kontakte."
Mahlzeiten im Lockdown
Von März bis Juni wurden im Priesterseminar des Erzbistums Köln an fünf Tagen in der Woche täglich 150 Mahlzeiten an obdachlose und wohnungslose Menschen verteilt. Dabei hat auch das Gubbio unterstützt. Die Kirche im Gubbio selbst war nur zeitweise geöffnet. Normalerweise findet die Obdachlosenseelsorge auf der Straße und in den Einrichtungen statt.
Schwester Christina Klein und ihr Kollege Stefan Burtscher gehen dort hin, wo die Menschen sind, um mit ihnen über Gott und Religion zu sprechen. "Früher haben wir oft in den Einrichtungen mit den wohnungslosen Menschen zu Mittag gegessen", erzählt Obdachlosenseelsorger Stefan Burtscher. "Dabei entsteht eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre. Das ist leider zur Zeit schwierig, da die Einrichtungen verkürzte Öffnungszeiten haben und wir die Seelsorge oft auf der Straße mit Maske und Abstand machen müssen. Seelsorge aus der Ferne ist eine größere Herausforderung als Seelsorge aus der Nähe."
Angebote im Gubbio
Im Gubbio selbst finden Dienstags- und Mittwochsnachmittags zahlreiche Angebote für wohnungslose Menschen statt. Am Dienstag gibt es das Bibelteilen, wo über das Evangelium vom jeweils kommenden Sonntag diskutiert und sich ausgetauscht wird. Mittwochsnachmittags gibt es nach dem Kaffeetrinken eine Meditation mit musikalischer Untermalung. Alle vier Wochen findet Samstagsnachmittags ein Gottesdienst mit anschließendem Essen statt. Manchmal gibt es auch Pilger- und Wandertage oder einen Spielenachmittag.
Die Kölner Wohnungslosenseelsorge Gubbio existiert bereits seit 16 Jahren und sie wurde nach der Legende des Wolfs von Gubbio benannt. Die Wohnungslosenseelsorge ist in den Räumen des ehemaligen Franziskanerklosters in der Kölner Südstadt untergebracht.
Josef kommt seit Jahren regelmäßig hierher. Er schätzt die persönliche Wertschätzung, die man hier erfährt. "Hier wird jeder als Mensch wahrgenommen", sagt er. "Wenn Du einmal Probleme hast: Hier werden keine Probleme gemacht, sondern Lösungen gesucht." Das vielfältige Angebot des Gubbio gefällt ihm gut. Leider fallen der Spielenachmittag oder die Wandertage aufgrund der Corona-Krise zur Zeit aus.
Frühmesse im geschlossenen Dom
Josef erzählt von den Einschränkungen, die er durch Corona erfahren hat. Während des Lockdowns konnte er keine Flaschen sammeln, um sich etwas dazu zu verdienen. Es waren kaum Menschen unterwegs, die Flaschen hätten wegwerfen können. Dennoch kann er der Lockdown-Zeit etwas Positives abgewinnen: "Was ich toll fand: Corona, Kölner Dom geschlossen. Du musst Dir vorstellen, Du gehst in den Kölner Dom morgens, Du kommst zur Frühmesse und da sind nur fünf Leute im Kölner Dom." Den Dom hatte er für sich alleine, sagt Josef. "Ich bin Kölner, das ist ein Gefühl. Und dann sitzt da oben der Organist und spielt einfach so oder übt. Und Du hast den ganzen Kölner Dom, Du hast einen Klangkörper, Du hörst die Orgel. Da konntest Du anders entspannen."
Josef nimmt die Corona-Krise sehr ernst und ihm ist die Einhaltung der Hygienemaßnahmen sehr wichtig. Er appelliert an die Vernunft der Mitmenschen. Im Gubbio ist man auf den Herbst und Winter gut vorbereitet. Die Veranstaltungen finden nun nicht mehr im Innenhof, sondern in der Kirche statt. Hier ist genügend Platz für alle, sodass der notwendige Abstand zwischen den Gemeindemitgliedern eingehalten werden kann.
Die Bahnhofsmission
Es gibt circa 650.000 wohnungslose Menschen in Deutschland, davon leben circa 50.000 auf der Straße. Die Obdachlosigkeit ist ein Teil der Wohnungslosigkeit. Obdachlose Menschen leben auf der Straße, in Parks oder in U-Bahnstationen. Wohnungslose Menschen haben keine Wohnung bzw. keinen Mietvertrag und leben in städtischen oder kommunalen Einrichtungen oder bei Freunden.
Gründe für Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit können u.a. der Verlust der Arbeit oder die Trennung vom Partner sein. Man merkt den Menschen nicht immer an, dass sie wohnungslos sind. Es gibt auch Wohnungslose, die einen Beruf ausüben. Der Hauptbahnhof ist ein zentraler Anlaufpunkt für wohnungslose und obdachlose Menschen. Sie können sich untereinander austauschen und es gibt Möglichkeiten zum Flaschen sammeln. Hier sind auch genug Menschen unterwegs, die man nach Geld fragen kann.
Eine wichtige Anlaufstelle im Kölner Hauptbahnhof ist die Bahnhofsmission, die hier schon seit über 120 Jahren präsent ist. Sie war wie viele andere Bahnhofsmissionen in Deutschland, im Rahmen der Industrialisierung entstanden, um am Bahnhof ratsuchende Menschen zu unterstützen. Die Bahnhofsmission Köln ist bis heute in ökumenischer Trägerschaft. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind an der blauen Weste erkennbar. Sie sind in den Räumen der Bahnhofsmission und auf dem gesamten Bahnhof ansprechbar. Ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ehrenamtlich tätig.
Auszeit von der Bahnhofshektik
"Es sind ganz verschiedene Menschen, die in die Bahnhofsmission kommen", erzählt mir die ehrenamtliche Mitarbeiterin Marlies Hundt. "Hier begegnet man Menschen und lernt Lebensfelder kennen, in die man normalerweise nicht hineinschauen kann. Die Begegnungen mit den Menschen sind das Spannendste an der Arbeit hier." Die Bahnhofsmission ist ein Ort der Beratung oder einfach für Gespräche. Ein Ort, an dem man eine Auszeit von der Bahnhofshektik nehmen kann.
Für obdachlose und wohnungslose Menschen ist sie ein wichtiger Aufenthaltsort. Eine Mahlzeit kann man hier nicht bekommen, aber auf Wunsch etwas Obst. Die Bahnhofsmission sieht sich in erster Linie als Lotse zu anderen Einrichtungen, die beispielsweise ein kostenloses Mittagessen, einen Schlafplatz oder andere Beratungen anbieten.
Die Corona-Pandemie schränkt auch die Arbeit der Bahnhofsmission ein. Es können sich nicht mehr so viele Menschen im Gastraum aufhalten wie vor der Krise. Die Zahl ist auf sieben Personen begrenzt. Die Mund-Nasen-Bedeckung muss durchgängig getragen werden und auch Name und Telefonnummer der Besucher müssen hinterlegt werden. Im Lockdown selbst war die Bahnhofsmission kurzzeitig geschlossen und dann fanden Beratungen am Fenster statt. In dieser Zeit hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahnhofsmission weniger Kontakt zu den Menschen, da Beratung am geöffneten Fenster anders ist als ein vertrauliches Gespräch im Beratungszimmer.
Seit einigen Wochen hat die Bahnhofsmission Köln ein Pilotprojekt gestartet, in dem der Außendienst gestärkt werden soll. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nun vermehrt im Bahnhof unterwegs, um ihre Hilfe anzubieten und um auf das Angebot der Bahnhofsmission aufmerksam zu machen. Mittlerweile nähern sich die Öffnungszeiten wieder dem Stand vor dem Lockdown an. Die Bahnhofsmission berät Menschen unabhängig von Herkunft oder Religion.
Das Café Auszeit und die Notschlafstelle Comeback
Seit über 20 Jahren gibt es bereits das Café Auszeit in den Räumlichkeiten des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Köln. Das ist ein Ort, an dem wohnungslose Frauen Schutz finden und sich für eine gewisse Zeit aufhalten können. Bis zu 20 Frauen kommen täglich hierher.
Es gibt vielfältige Angebote. Die Frauen können hier Wäsche waschen, duschen, essen, ihre E-Mails checken und sich auch eine Postadresse einrichten lassen. Eine Kleiderkammer gibt es auch. Gegen ein kleines Entgelt gibt es entweder ein von Ehrenamtlern frisch zubereitetes Mittagessen oder ein Gericht aus der Mikrowelle. Die Kleider für die Kleiderkammer werden von Kölner Bürgerinnen und Bürgern oder Vereinen gespendet.
Die Notschlafstelle Comeback gehört ebenfalls zum Angebot des Sozialdienstes katholischer Frauen für wohnungslose Menschen. Sie ist täglich von abends um 20.00 Uhr bis morgens um 10.00 Uhr geöffnet. Hier finden die Frauen eine Übernachtungsmöglichkeit. Es ist die einzige Notschlafstelle ausschließlich für Frauen in Köln.
Die Frauen können bis zu vier Wochen lang hier übernachten. Sie müssen eine Bescheinigung darüber vorlegen, dass sie keine Wohnung in Deutschland und keinen Mietvertrag haben. Sie können die ganze Nacht über ins Comeback kommen und dürfen auch ihre Tiere mitbringen. Drogen und Alkohol hingegen sind verboten. Sowohl in der Notschlafstelle als auch im Café Auszeit werden die Frauen von Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen betreut und beraten.
Weniger Aufenthaltsorte im Lockdown
Während des Lockdowns waren das Café Auszeit und andere Projekte des SkF eine der wenigen Einrichtungen, die geöffnet hatten. Es durften sich zu diesem Zeitpunkt allerdings nur sechs wohnungslose Frauen gleichzeitig im Café aufhalten. Das Café war nicht nur in der Woche tagsüber geöffnet, sondern auch an den Wochenenden und Feiertagen. "Wir wollten den Frauen die Möglichkeit bieten, sich wenigstens vier Stunden pro Tag im Café aufhalten zu können, um zum Beispiel etwas zu essen", sagt Alexandra Hoffend. Sie ist Mitarbeiterin im SkF.
Das Problem während des Lockdowns bestand darin, dass es nur noch wenige Orte gab für obdachlose Menschen wo sie sich aufhalten konnten. Ein Zuhause gibt es nun einmal nicht. Oft besuchen wohnungslose Menschen Geschäfte oder Büchereien, um dort Schutz vor der Witterung zu suchen. Diese waren während des Lockdowns geschlossen. Auch der Zugang zu öffentlichen Toiletten war im Lockdown nur sehr eingeschränkt möglich. Der Hunger war groß, da das Geld vom Flaschensammeln fehlte. Im SkF wurden Carepakete mit Brot, Obst, Süßigkeiten und Getränken zubereitet und an die wohnungslosen Menschen verteilt.
Auch nach dem Lockdown verändert die Corona-Krise die Arbeit des Cafés und der Notschlafstelle. "Wir können nicht wie früher einfach die Tür aufmachen und die Frauen hereinlassen", sagt Alexandra Hoffend. Bevor sie ins Café oder die Notschlafstelle kommen müssen sich die Frauen die Hände desinfizieren und es wird Fieber gemessen. In der Notschlafstelle steht ein Isolierzimmer bereit, in dem eine Frau mit erhöhter Temperatur übernachten kann. Das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung ist ebenfalls Pflicht.
Es dürfen sich nur neun Frauen gleichzeitig im Café und in der Notschlafstelle aufhalten. Die Anzahl der Mitarbeiterinnen des SkF ist auf drei begrenzt. Im Café müssen die wohnungslosen Frauen an Einzeltischen sitzen.
Das Wichtigste ist die Wertschätzung
Auch die Öffnungszeiten des Cafés haben sich verändert. Es ist in jeweils einer Schicht am Vormittag und am Nachmittag geöffnet. Um zu gewährleisten, dass so viele Frauen wie möglich pro Tag das Café besuchen können, dürfen sich die Frauen nur jeweils eine Schicht lang dort aufhalten. Diejenigen, die abends in der Notschlafstelle übernachten, dürfen nur in der Nachmittagsschicht das Café Auszeit besuchen.
Die vierwöchige Übernachtungsfrist in der Notschlafstelle wurde vorerst aufgehoben. Die Bescheinigung über die Wohnungslosigkeit kann nachgereicht werden. Vor der Corona-Krise gab es morgens ein Frühstücksbuffet, wo sich die Frauen ihr Frühstück selbst zubereiten konnten. Auch das entfällt durch Corona. Nun werden die Brote von den Mitarbeiterinnen geschmiert und an die Frauen herausgegeben.
Am wichtigsten ist den wohnungslosen Menschen die Wertschätzung. Diese erfahren sie trotz der Herausforderungen der Corona-Zeit in den drei vorgestellten Einrichtungen.