Lebende Bibliothek birgt menschliche Schätze

Bernd, das Buch

Hingehen, Buch ausleihen, lesen, wieder zurückbringen. So funktioniert eine Bibliothek. Eine besondere Bücherei bietet der Kölner Diözesancaritasverband an. Denn hier können die Bücher sprechen - so wie beispielsweise Bernd.

Autor/in:
Dana Kim Hansen
Kinder hören gespannt zu / © Katharina Ebel (KNA)
Kinder hören gespannt zu / © Katharina Ebel ( KNA )

Gespannt lauscht die Schülergruppe den Worten von Bernd. In einem Stuhlkreis sitzen sie um den ehemals Wohnungslosen herum. Er erzählt seine Geschichte. Vom Verlust der Wohnung, seiner Zeit im Übergangsheim und dem Moment, in dem er endlich wieder eine eigene Wohnung bekam. Bernd ist ein lebendes Buch - die Schülergruppe hat ihn sich ausgeliehen.

Bernd ist als sprechendes Buch Teil der Lebenden Bibliothek des Kölner Diözesancaritasverbandes. Dieses Mal macht das Projekt von Sabine Kern im Genoveva-Gymnasium in Köln-Mülheim Station. Das Prinzip der Bücherei mit den sprechenden Schmökern ist schnell erklärt. Es ist identisch mit dem einer klassischen Bibliothek. Nur dass sich die Teilnehmer anstatt der üblichen Bücher lebende Bücher ausleihen. Menschen, die ihnen dann ihre Geschichte erzählen. 30 Minuten Zeit bleibt den Lesern für ein "Buch".

Raum für Begegnungen zwischen Menschen

Ziel dieser besonderen Bibliothek sei es, einen Raum für Begegnungen zwischen Menschen zu schaffen, die sich unter alltäglichen Umständen nicht treffen würden, erklärt Projektleiterin Sabine Kern. "Wir sind immer schnell dabei, Leute in Schubladen zu kategorisieren." Bei der Lebenden Bibliothek könnten die Leser mit den Menschen sprechen, die sonst vielleicht unbeachtet bleiben. Es gehe vor allem darum, Vorurteile abzubauen.

Das Format der Lebenden Bibliothek stammt aus Dänemark. Kennengelernt hat es Kern aber während einer Reise in Wien und von da aus die Idee mit nach Köln gebracht. Bei jeder Veranstaltung hat die Projektleiterin andere Bücher dabei. Auch die Suche nach neuen Exemplaren für den Bestand gehört zu ihren Aufgaben. Und das lässt Kern selbst in ihrer Freizeit nicht los. Letztens habe sie im Fernsehen eine Dokumentation über einen Jäger gesehen. Einen Jäger, den brauchen wir unbedingt noch als Buch, habe sie gedacht. "Oder einen Astronauten, den hätte ich auch gerne."

"Woche des Respekts"

Da die Veranstaltung am Genoveva-Gymnasium im Rahmen der "Woche des Respekts" stattfindet, hat Kern diesmal Bücher rund um dieses Thema ausgewählt. "Ich habe überlegt, wem gegenüber man Respekt haben kann." So hat sie unter anderen zwei Polizistinnen, einen Veganer, einen jungen jüdischen Mann, eine blinde Schriftstellerin, eine moderne Muslima mit Kopftuch oder eben den ehemals wohnungslosen Bernd mitgenommen.

Die Gruppe, die sich den früheren Obdachlosen ausgeliehen hat, ist mittlerweile im Gespräch vertieft. Eine Schülerin findet: "Es ist doch besser, in einer Einrichtung zu wohnen, als auf der Straße." Bernd berichtet daraufhin aus seiner Zeit in Übergangsheim. "Es gab Anwesenheitspflicht, von 21 bis 7 Uhr morgens war die Tür zu. Jede Woche musste ein anderer der acht Mitbewohner kochen. Es gab Verantwortliche fürs Putzen, den Einkauf."

Mit solchen Regeln und Strukturen komme nicht jeder klar. Das Regelmäßige könne überfordernd sein. Er selbst habe sich auch manchmal wie in einem Gefängnis gefühlt. Umso schöner sei es gewesen, endlich wieder eine Wohnung für sich zu haben. Wie dieser Moment für ihn gewesen sei, wollen die Schüler wissen. "Ein tolles Gefühl", antwortet Bernd. "Der Inbegriff von Freiheit und Leben."

Beeindruckende Schilderungen

Inzwischen könne er seine Geschichte fremden Menschen erzählen. Das sei aber nicht immer so gewesen. Erst im Laufe der Zeit habe er gemerkt, dass ihm das Erzählen helfe. Heute kann er sagen: "Ich habe einen Knacks erlebt". Seit einem Jahr ist Bernd jetzt als Buch bei der Lebenden Bibliothek dabei. Dieses Engagement hat für ihn einen besonderen Wert. Er wolle mit seiner Geschichte den Lesern zeigen, dass niemand abseitsstehen muss. "Wer Hilfe annimmt, der bekommt sie auch."

Den Schülern hat besonders Bernds Offenheit gefallen. "Wir konnten alles fragen, er hat keine Antwort abgelehnt." Die Schilderungen der lebenden Bücher seien beeindruckend: "Sie erzählen nicht einfach irgendwas, sondern das, was sie selbst erlebt haben."


Quelle:
KNA