Lebenshilfe warnt vor Dammbruch beim Lebensschutz

"Gefahr des Designerbabys"

"Wenn die Untersuchungen von künstlich befruchteten Eizellen straffrei erlaubt sind", warnt Matthias Toetz von der Lebenshilfe Köln im domradio.de-Interview, drohe Selektion zwischen "lebenswert und nicht lebenswert".

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

domradio.de: Viele Eltern haben Angst, ein Kind mit Behinderung zu bekommen. Woran liegt das?
Toetz: Ich glaube, es gibt eine Vielzahl von Gründen. Ein Grund ist mit Sicherheit, dass man viel zu wenig über das Leben von Menschen mit Behinderung weiß. Man hat, glaube ich, immer noch sofort Bilder von Leid oder Krankheit oder auch freudlosem Leben im Kopf, wenn man hört ‚Menschen mit Behinderung'. Und das hat damit zu tun, dass Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft eigentlich noch keinen normalen Platz gefunden haben. So dass im Prinzip über diese nicht vorhandenen Erfahrungen Berührungsängste entstehen und dementsprechend für das eigene Kind in der eigenen Familie die Situation auch als sehr belastend empfunden wird, ohne die eigene Erfahrung eigentlich gemacht zu haben.

domradio.de: Heißt das denn auch, wenn Sie sagen, da ist noch zu wenig Erfahrung vorhanden, dass auch von Seiten der Politik mehr Unterstützung für die Eltern kommen müsste?
Toetz: Da hat sich ja gerade in den letzten Jahren eigentlich erst ein bisschen etwas gewandelt. Letztes Jahr hat auch Deutschland die UN-Konvention zum Schutz von Menschen mit Behinderung ratifiziert. Also ich glaube, dass da auch die Politik auf dem richtigen Weg ist und da auch quer durch alle Parteien größeres Verständnis herrscht oder auch eine größere Akzeptanz. Da werden z.B. auch Menschen mit Behinderung in den Fokus gerückt. So in der Antrittsrede von Bundespräsident Wulff, der auch Menschen mit Behinderung in seiner Aufzählung erwähnt hat, die er mehr - als Teilhaber - in die Gesellschaft rücken möchte. Ich glaube, dass da die ersten Schritte schon gemacht sind, aber wir auch bei diesem Thema erst am Anfang einer Entwicklung stehen.

domradio.de: Wie machen Sie, also die Behindertenverbände, Eltern jetzt Mut, sich doch für ein behindertes Kind zu entscheiden?
Toetz: An erster Stelle stehen bei uns die Beratung und auch die persönlichen Erfahrungen der Elterngruppen. Sie können sich von Mitarbeitern Institutionen zeigen lassen, sie können Erfahrungen sammeln. Die Lebenshilfe vertritt bundesweit Hunderttausende von Familien, bei denen ganz klar ist: Auch bei einem Leben mit Behinderung gibt es glückliche Familien und es ist ein glückliches Leben. Da kann man sich mit Sicherheit vielfältige Beispiele holen, bei denen man erfahren kann: das ist genauso ein normales Leben, wie bei anderen Familien auch. Mit allen Höhen und Tiefen, die dazugehören.

domradio.de: Aber genau davor haben ja ganz viele Angst und sagen: So ein behindertes Lebens ist gar nicht so lebenswert oder ist vielleicht gar nicht lebenswert - je nach Grad der Behinderung. Sie sagen: Doch, ja, auch solche Menschen sind glücklich. Warum ist auch ein behindertes Leben lebenswert?
Toetz: Das ist ja so ein Grundproblem, weil die Definition von ‚behindert' ja im Prinzip nur eine Festlegung von außen ist, die der Mensch mit Behinderung selbst gar nicht so treffen würde. Das fängt im Prinzip schon damit an, dass ich niemandem von außen ein glückliches Leben absprechen kann, egal welche Form oder Ausdrucksform dieses Leben hat. Ich kann doch nicht von vorneherein sagen, weil bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind, ist das gleichbedeutend mit einem negativen, freundlosen oder keinem glücklichen Leben. Wenn man sich damit beschäftigt, muss man sehen, wie falsch eine solche Folgerung ist falsch.

domradio.de: Was erwarten oder erhoffen Sie sich denn vom Bundesgerichtshof in Leipzig heute?
Toetz: Also ich wäre froh, wenn sie dem nicht stattgeben. Da schließe ich mich auch der Meinung des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung Hubert Hüppe an, der in einem Interview von einen ‚Dammbruch' gesprochen hat und die Gefahr betonte: Wenn das straffrei erlaubt ist, wird irgendwann eine Selektion möglich sein, bei der man zwischen lebenswert und nicht lebenswert unterscheidet. Und da ist ganz klar unsere Haltung: Das kann man eigentlich von außen nicht entscheiden. Wer soll das beurteilen? Wer kann das und darf das festlegen? Da ist tatsächlich auch die Gefahr bei diesem Urteil, dass es ein weiteres Stück des Weges ist hin zu - ich sage es mal etwas provokativ - Designerbabys. Der Begriff fällt ja so in der Presse. Wir suchen uns quasi unser Wunschkind mit Wunscheigenschaften, angefangen beim Geschlecht, aus. Das ist bestimmt eine berechtigte Gefahr, die er da aufzeichnet.

Das Gespräch führte Monika Weiß.