Jüdische Positionen zur Erlaubnis von Gottesdiensten

Lebensrettung und Sehnsucht nach Gemeinschaft

Auch Juden müssen in Corona-Zeiten einen langen Atem haben: Wann endlich wieder normale Gottesdienste gefeiert werden können, ist ungewiss. Hinzu kommt, dass digitale Alternativen jüngst Angriffen ausgesetzt waren.

Autor/in:
Leticia Witte
Jüdischer Kronleuchter / © Juan RaPhoto (shutterstock)
Jüdischer Kronleuchter / © Juan RaPhoto ( shutterstock )

Die Pflicht, gefährdetes Leben zu retten, steht im Judentum ganz vorn. Sie hat auch Vorrang vor anderen religiösen Vorschriften. Und so stellten die Verantwortlichen für das jüngste Hygiene- und Gesundheitskonzept vonseiten der jüdischen Gemeinschaft diese Pflicht, Pikuach Nefesch genannt, gleich an den Anfang des Papiers.

Es dient zusammen mit den Konzepten der beiden großen Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften als Grundlage für einen Rahmenplan, der die Feier von Gottesdiensten in Kirchen, Synagogen oder Moscheen in der Corona-Pandemie ermöglichen soll. Darüber berät in diesen Tagen das politische Berlin gemeinsam mit Experten.

Dem Bundesinnenministerium liegen nach eigenen Angaben 15 Konzepte von Religionsgemeinschaften vor. Ein Rahmenkonzept kann jedoch nur eine Empfehlung für die Länder sein: Denn bei ihnen liegt am Ende die Entscheidung, ob und wann es Lockerungen gibt. Teilweise haben einzelne Bundesländer schon Lockerungen beschlossen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, dass sich das Corona-Kabinett an diesem Montag mit dem Rahmenkonzept befassen werde. Am Mittwoch wolle dann die Ministerkonferenz das Thema behandeln.

Besonnene Entscheidungen treffen

Zsolt Balla, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland und sächsischer Landesrabbiner, mahnt zu besonnenen Entscheidungen. Man müsse schauen, wann normale Gottesdienste wieder möglich seien. "Das kann noch Monate dauern." Er setze insgesamt auf die beratende Expertise von Fachleuten aus der Wissenschaft.

In Sachsen können in den Gotteshäusern seit Montag Gottesdienste, Beerdigungen, Trauerfeiern und Trauungen mit bis zu 15 Besuchern stattfinden. Dazu hatte der Landesrabbiner kürzlich gesagt: "Bei einer orthodoxen jüdischen Hochzeit müssen zehn erwachsene Männer anwesend sein, dazu die Braut und möglichst ihre Mutter und die Mutter des Bräutigams... 15 ist eine gute und vernünftige Zahl." Und: Für ihn als Rabbiner seien die Ärzte derzeit die erste Quelle für Entscheidungen, hygienische Vorschriften hätten Priorität.

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz und die Allgemeine Rabbinerkonferenz hatten mit dem Zentralrat der Juden das Hygienekonzept entwickelt - im Einvernehmen mit den Landesverbänden und größeren Gemeinden. So darf grundsätzlich nur zum Gebet kommen, wer vollständig gesund ist.

Empfohlen werden unter anderem Anmeldungen zum Gebet in Gemeinden, Teilnehmerlisten, Schutzmasken und ausreichend Abstand zwischen den Gläubigen. Eine Bar Mizwa zum Beispiel darf begangen werden, eine anschließende Feier nicht. Das gilt auch für gemeinsame Mahlzeiten.

Langer Atem abverlangt

Auch wenn der Gesundheitsschutz ganz oben steht, verlangen aktuelle Regelungen auch Juden einen langen Atem ab: "Gerade aus jüdischer Sicht sind die Einschränkungen der Religionsfreiheit kaum zu ertragen - ist diese doch für uns Juden überhaupt erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs wieder gegeben", schrieb der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in der "Jüdischen Allgemeinen". Online-Formate könnten Zusammenkünfte nicht ersetzen. Ähnlich hatte sich kurz vor Pessach auch der Vorsitzende der liberal orientierten Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland, Rabbiner Andreas Nachama, geäußert.

Gleichwohl gibt es digitale Angebote als Alternativen zu physischen Versammlungen: etwa Gottesdienstfeiern und religiöse Unterweisungen. Auf diesem Wege können Gläubige trotz vielerorts geschlossener Synagogen Gottesdienste feiern.

Diese Alternativen waren jüngst jedoch Angriffen ausgesetzt: Laut Medienberichten gab es Störungen von Rechts. Rund um den 20. April, Jahrestag des Geburtstages von Adolf Hitler, seien im Internet gestreamte Gebete und Thorastunden mehrerer Rabbiner in Deutschland betroffen gewesen, so die "Jüdische Allgemeine." Sie zitiert den Frankfurter Rabbiner Avichai Apel, wonach etwa plötzlich Hakenkreuze auf dem Bildschirm zu sehen waren.

Auch Balla berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Am 20. April habe sich bei Gebetsübertragungen ein Teilnehmer unter dem Namen "Hitler" angemeldet, und es seien Fragen wie "Are you Jewish?" aufgetaucht. Er habe Strafanzeige gestellt - und stehe in Kontakt mit der Polizei, sagt der Landesrabbiner.

 

Quelle:
KNA