DOMRADIO.DE: In den nächsten sieben Jahren sagen die Prognosen 35.000 fehlende Lehrkräfte in ganz Deutschland voraus. Wie sieht es denn momentan bei Ihnen an der Schule aus?
Regina Merkl (Leiterin der katholischen Grundschule Sternsingerschule in Köln-Longerich): Wir merken das bedingt schon. Es war früher eigentlich so, wenn wir Lehrer benötigt haben und uns eine Lehrstelle zugewiesen wurde, sowie eine Ausschreibung erfolgt ist, dann haben wir oft 20 Bewerbungen gehabt. Mittlerweile bekommt man eigentlich gar keine Bewerbung mehr, wenn man ausschreibt.
Ich habe an meiner Schule das Glück, dass meine Stellen weitgehend besetzt werden. Wenn aber Erkrankungen vorliegen oder eine Kollegin in Elternzeit geht, dann wird es schon etwas schwieriger. Dann hat man eigentlich kein Glück mehr, dass man wirklich Lehrer bekommt, sondern muss auf Seiteneinsteiger oder sogenannte Nichterfüller (Lehrer, die nicht die Voraussetzungen erfüllen, um verbeamtet zu werden, Anm.d.Red.) zurückgreifen. Da ist das Problem schon groß, weil die Kollegen nicht immer die Kompetenzerwartungen der Lehrpläne kennen. Dann wird es schon mal schwierig. Man muss sie einführen und begleiten. Auf der anderen Seite muss man aber auch darauf achten, dass die Fachlichkeit gesichert ist.
Ich habe jetzt an meiner Schule zwei Nichterfüller, einen Lehramtsstudenten für Sport und Sachunterricht, der Sport erteilt und eine Magisterkollegin, die gerade vertretungsweise da ist und den Englischunterricht übernimmt.
DOMRADIO.DE: Es gibt doch auf der anderen Seite auch noch die Möglichkeit, Lehrkräfte aus dem Ruhestand zurückzuholen, oder?
Merkl: Genau. Das habe ich auch schon für zwei Monate gehabt. Eine ehemalige Schulleiter-Kollegin, die in den Ruhestand gegangen ist. Da hatte ich auch schon große Not, gerade den Englischunterricht betreffend und habe sie daraufhin angesprochen, weil ich keinen bekam. Sie hat dann die Stunden wieder bei uns übernommen. Diese Kollegin ist 67 Jahre alt. Eigentlich in einem Alter, in dem man wirklich den Ruhestand verdient hätte.
DOMRADIO.DE: Woher kommt denn dieser Mangel? Vor 20 bis 30 Jahren haben doch so viele in der Berufsfindung noch gesagt, dass sie Lehrer oder Lehrerin werden wollen. Warum haben wir jetzt das Problem, dass wir über 30.000 fehlende Stellen bekommen werden?
Merkl: Ich denke, dass es zum einen an der mangelnden Akzeptanz liegt. Dazu kommen die mangelnde Bezahlung und die Herausforderungen, die auf die Lehrer immer mehr zukommen. Wir haben jetzt das sogenannte gemeinsame Lernen, das die Regelschul-Lehrer oft an die Grenzen führt, und dann die Flüchtlingswelle. Es sind jetzt unheimlich viele Kinder in die Schule gekommen, die vorher schulisch noch gar nicht sozialisiert wurden, die wir erst noch an elementare Dinge heranführen müssen.
DOMRADIO.DE: Was gibt es da für Beispiele?
Merkl: Einfach einen Stift richtig halten. Stifte und Scheren sind den Kindern teilweise fremd. Wir hatten einen Schüler, der nicht einmal die Farben kannte. Er konnte sie nicht benennen. Das sind Dinge, die unsere Kinder eigentlich mitbringen, wenn sie in die Grundschule kommen. Das muss erst einmal mit den Kindern trainiert werden. Dafür fehlen einfach oft die Zeit und die Kapazitäten.
Zurzeit haben wir die große Grippewelle. Wenn da die Kollegen erkrankt sind, ist es schwierig, Vertretung zu bekommen. Dann sind unsere Sonderschullehrer, die wir an der Schule haben, weil wir eine Schule mit gemeinsamem Lernen sind, in der Pflicht, auch Klassenlehreraufgaben zu übernehmen und können sich nicht mehr um Kinder mit Förderbedarf kümmern. Das geht teilweise schon an die Grenzen der Kollegen.
DOMRADIO.DE: Wie geht man damit um? Wenn Sie jetzt schon diese Probleme haben, solche Löcher zu stopfen, dann wird das der Prognose nach in den kommenden Jahren nur noch viel schlimmer werden, oder?
Merkl: Ich denke, dass die Regierung fleißig dafür werben muss, dass wieder junge Leute, Abiturienten, sich für diesen Lehrerberuf begeistern, denn es ist im Prinzip ein sehr schöner Beruf. Es muss aber auch die Bezahlung besser werden. Das wird ja gerade in Nordrhein-Westfalen diskutiert.
Ich kann mich nur dafür aussprechen, dass die Arbeit, die die Kollegen leisten, mehr Anerkennung findet und dass entsprechend die Bezahlung besser wird. Aber das ist gerade im Gange und ich hoffe, dass das weiter verfolgt wird. Es reichen auch nicht nur die Lehrer aus, sondern wir brauchen auch andere Externe, die uns mittlerweile unterstützen, um den Kindern mit gemeinsamem Lernen gerecht zu werden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.