DOMRADIO.DE: Sie kennen die Geschichte der Friedensgebete. Sie sind seit Anfang der 1980er Jahre hier engagiert. Wie war das damals, als sie hierhin kamen? Welche Bedeutung hatten die Friedensgebete für Sie?
Liane Plotzitzka (Zeitzeugin der Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche): Die hatten für mich eine ganz wesentliche Rolle in der damaligen DDR. Man konnte nicht überall seine Meinung sagen oder politisch aktiv sein. Das ging tatsächlich nur in den Räumen der Kirche.
Die Nikolaikirche war offen für uns. Wir durften uns montags in den Räumen der Nikolaikirche treffen und Friedensgebete vorbereiten. Ich war in der Gruppe "Frauen für den Frieden".
DOMRADIO.DE: Das war eine kleine, engagierte Gruppe, die unter Beobachtung der Stasi war?
Plotzitzka: In allen Gruppen waren informelle Mitarbeiter. Wir sind davon ausgegangen, dass auch bei uns welche sind. Wir wussten natürlich nicht, wer das ist, aber wir haben damit gelebt. Sonst gäbe es unsere Gruppe ja nicht. Wir haben einfach trotzdem unsere Friedensgebete gemacht. Wir waren die Basisgruppe, so wurden wir genannt.
Die Staatssicherheit nannte uns, das haben wir später aus den Akten erfahren, "die Wespen".
DOMRADIO.DE: Wenn Sie in der Geschichte zurückschauen, was hat Ihnen immer wieder Kraft gegeben?
Plotzitzka: Das war die Gemeinsamkeit unserer Anliegen. Ich war damals junge Mutter wie andere auch. Ich war vorher gar nicht so sehr politisch aktiv. Aber als dann die Kinder da waren, musste man sich entscheiden, welcher Kindergarten es werden soll und wie das in der Schule weitergeht?
Vor allem man musste entscheiden: Werden die Kinder Pionier oder nicht? Man musste auch immer mit Diffamierung, Ausgrenzung oder Repressalien rechnen. Darüber konnten wir uns auch austauschen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle hat der christliche Glaube in diesem Prozess für Sie gespielt?
Plotzitzka: Für mich auf alle Fälle eine große Rolle. Aber das war für mich nicht bloß der christliche Glaube, vielleicht nur am Rande. Mein Großvater war jemand, der mich sehr geprägt hat. Ich komme aus der Altmark. Er war der Einzige im Dorf mit drei Kindern, die nicht in der Hitlerjugend waren. Er war in der SPD damals, die Hitler ja nicht gewählt hat.
Mein Großvater hat großen Einfluss auf uns Kinder gehabt, sodass wir selbst auch nicht Pionier der FDJ waren. Ich habe dieses Vermächtnis weiterführen wollen, dass meine Kinder auch nicht uniformiert werden. So habe ich das gesehen.
DOMRADIO.DE: Das Friedensgebet wird bis heute mit immer wechselnden Gruppen fortgeführt. Es gibt ganz viele Gruppen, die sich hier in Leipzig engagieren. Was prägt dieses Friedensgebet?
Plotzitzka: Jetzt ist es auch so, dass wir nicht mehr zwischen den Zeilen sprechen müssen. Wir können formulieren, was unsere Anliegen sind. Wie das in einer Demokratie zum Glück ist. Wir dürfen jetzt auch wählen. Aber damals war Literatur für uns verboten. Es gab keine Reisefreiheit, keine Pressefreiheit. Das haben wir damals so klar formuliert, auch was die politische Erziehung der Kinder betraf. Das war für mich eines der größten Anliegen.
Es gibt in der ganzen Welt bestimmt kein einziges Land, wo alles gerecht ist. Ich finde es so toll, dass die Friedensgebete auch in der heutigen Zeit einfach weitergeführt werden. Die haben für mich nicht an Bedeutung verloren. Wir sind auch deutschlandweit mit ökumenischen Friedensgebetsgruppen vernetzt und treffen uns einmal im Jahr in einer Stadt.
DOMRADIO.DE: Wie sieht das ganz persönlich bei Ihnen aus? Gibt es auch im Alltag etwas, von dem Sie sagen, das sei Ihnen im Umgang miteinander wichtig?
Plotzitzka: Ich bin schon froh, dass ich überhaupt Gemeindemitglied bin. Ich bin auch etwas stolz, dass ich zur Nikolai-Gemeinde gehöre. Ich meine, auch Nichtchristen haben ja humanistische Ideale oder Ziele. Aber das hat mich doch etwas geprägt, dass ich weiß, dass wir nicht ernst genommen wurden und als naive Spinner galten und dennoch die Welt zum Wanken gebracht haben.
Vielleicht ist das jetzt übertrieben formuliert. Aber das gibt mir das Gefühl, dass es weiter geht und vieles möglich ist. Diese Erfahrung haben wir gemacht.
DOMRADIO.DE: Das ist ein sehr Mut machendes Zeugnis für viele andere, die vielleicht jetzt in ähnlichen Situationen sind?
Plotzitzka: Ich bin auch in der Stiftung Friedliche Revolution engagiert und wir haben zum Beispiel einen runden Tisch, wo aus verschiedenen Ländern Leute aus der Opposition zusammenkommen und sich miteinander austauschen können und sich vernetzen können.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.
Information der Redaktion: Alle Informationen zur Rad-Pilger-Tour für den Frieden finden Sie hier.