Letzter Überlebender des Massakers von Oradour ist tot

Die Mörder kamen am helllichten Tag

Frühjahr 1944: Auf dem Weg in die Schlacht ziehen SS-Truppen eine Spur von Tod und Verwüstung in Frankreichs Provinz. Ein kleiner Ort wird zum Symbol für monströse Grausamkeiten. Nun ist der letzte Überlebende gestorben.

Autor/in:
Joachim Heinz
Gedenktafel für die Opfer des Massakers von Oradour-sur-Glane  / © Alexander Brüggemann (KNA)
Gedenktafel für die Opfer des Massakers von Oradour-sur-Glane / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Am 10. Juni 1944 schien die Sonne über dem französischen Oradour-sur-Glane. "Punkt 14.00 Uhr rollten Schützenpanzerwagen und Laster an", erinnert sich Jean-Marcel Darthout an das, was dann geschehen sollte. Schätzungsweise 150 Männer der SS-Division "Das Reich" hatten kurz zuvor den Ort nahe Limoges umstellt und begannen nun damit, die ahnungslosen Einwohner auf dem Marktplatz zusammenzutreiben. Wenige Stunden später waren 642 Zivilisten tot - erschossen oder verbrannt.

642 Menschen ermordet

Die meisten Männer von Oradour starben unter Gewehrsalven in Scheunen und Garagen, nur eine Handvoll konnte entkommen; mehr als 400 Frauen und Kinder pferchten die Täter in der Kirche ein, lösten dort eine Explosion aus, schossen durch Fenster und Türen in die Menge, warfen Handgranaten hinein und legten schließlich ein Feuer im Innenraum. Marguerite Rouffanche überlebte als einzige. Die meisten SS-Soldaten zogen am Abend ab - nachdem sie das komplette Dorf in Schutt und Asche gelegt hatten.

Als schlimmstes Massaker der Deutschen in Westeuropa während des Zweiten Weltkriegs ist die Mordaktion von Oradour-sur-Glane in die Annalen eingegangen. Am Wochenende starb Robert Habras - der letzte Überlebende von insgesamt sieben Menschen. Er wurde 97 Jahre alt.

Späte Aufarbeitung und schwieriges Gedenken

Gedenken in Oradour-sur-Glane (dpa)
Gedenken in Oradour-sur-Glane / ( dpa )

Jahr für Jahr besuchen rund 300.000 Menschen die Ruinen und das 1999 eröffnete Gedenkzentrum. Mit Joachim Gauck kam 2013 erstmals ein deutscher Bundespräsident an den Ort des Geschehens. Ein Indiz dafür, wie schwer man sich lange mit Gedenken, Aussöhnung und Aufarbeitung tat.

Sehr bald schon wurde das Massaker bekannt, obwohl, wie einer der Täter später aussagte, darüber Stillschweigen bewahrt werden sollte.
1953 begann vor einem Militärgericht in Bordeaux ein Prozess gegen 65 SS-Männer, 21 saßen tatsächlich auf der Anklagebank, darunter 14 Elsässer, von denen 13 in die SS zwangsrekrutiert worden waren. Als die Betreffenden abgeurteilt worden waren, brach im Elsass ein Sturm der Entrüstung los; die französische Regierung knickte ein, erließ eine Amnestie für jene Franzosen, die gegen ihren Willen in der SS gelandet waren.

Gedenktafel im Ort Oradour-Sur-Glane für die 642 Opfer des Massakers / © Alexander Brüggemann (KNA)
Gedenktafel im Ort Oradour-Sur-Glane für die 642 Opfer des Massakers / © Alexander Brüggemann ( KNA )

In Oradour verstanden die Menschen die Welt nicht mehr. "Der Ort brach mit dem französischen Staat und verbot seinen Repräsentanten jegliche Beteiligung an lokalen Gedenkzeremonien", schreibt die Historikerin Andrea Erkenbrecher, die sich seit Jahren mit dem Massaker und seinen Folgen auseinandersetzt. "Oradour zog sich auf sich und seine Trauer zurück."

Kaum Strafen für die Täter

Und Deutschland? In der Bundesrepublik verhinderten politisches Kalkül, juristische Hemmnisse und träge Behörden eine strafrechtliche Verfolgung. Adolf Diekmann, der das für die Tat verantwortliche 1. Bataillon der SS-Division befehligte, fiel am 29. Juni 1944 bei den Kämpfen mit den Alliierten in der Normandie. Divisionskommandeur Heinz Lammerding, der nach 1945 erfolgreich eine Karriere als Bauunternehmer startete, starb weitgehend unbehelligt von der deutschen Justiz 1971.

Im gleichen Jahr sammelten sich die "Alten Kameraden" Lammerdings, um den "guten Namen unserer Division" zu verteidigen, die im Krieg "ohne Makel" geblieben sei. Auf deutschem Boden reichte es in all dieser Zeit für ein einziges Urteil: gegen Heinz Barth in der DDR. Der gab während der Verhandlungen 1983 zu Protokoll, wie die SS sich im Nachhinein reinwaschen wollte. Falls überhaupt darüber geredet werden sollte, galt laut Barth die Sprachregelung, wonach es "in diesem Ort einen Widerstand gab". Nichts davon stimmte.

Wiederaufnahme der Ermittlungen eingestellt

2014 wurden neue Ermittlungen aufgenommen, bereits im Folgejahr jedoch wieder eingestellt. Somit zog die Bundesrepublik Deutschland niemanden wegen des Massakers strafrechtlich zur Verantwortung.

Robert Hebras wurde unterdessen zu einem "unermüdlichen Verfechter für Frieden und Versöhnung", so würdigte ihn nun die Stiftung Bayerischer Gedenkstätten. Wer sich bei solch einem Schicksal für Versöhnung einsetze, sei ein Vorbild für die Welt, sagte deren Direktor Karl Freller.

Nach dem 10. Juni 1944 musste das Leben irgendwie weitergehen, hat der letzte direkte Augenzeuge des Massakers selbst einmal gesagt. Die Erinnerung an die "schlimmen Momente" jenes Frühlingstages freilich hat er nie vergessen.

Die Kirche und der Nationalsozialismus in Deutschland

Pflicht, Opfer, Vaterland: Als Hunderttausende katholischer deutscher Soldaten ab 1. September 1939 in den Zweiten Weltkrieg zogen, vermieden die meisten Bischöfe politische Stellungnahmen. Einzig der Münsteraner Bischof Clemens August von Galen rechtfertigte den Krieg unter Verweis auf den "ungerechten Gewaltfrieden" von Versailles 1918.

Turm der St. Matthiaskirche in Berlin (shutterstock)
Quelle:
KNA