DOMRADIO.DE: Was bedeutet diese erneute Einschränkung der Alten Messe durch Franziskus konkret, wer darf jetzt überhaupt noch nach dem Messbuch von vor 1969 die Messe feiern?
Prof. Dr. Andreas Odenthal (Seminar für Liturgiewissenschaft der Universität Bonn): Darf ich ehrlich sein? Für mich ist die Sachlage inzwischen unübersichtlich geworden, so dass Sie da besser einen Kirchenrechtler fragen. Mich als Liturgiewissenschaftler interessieren andere Dinge: In welchem Kontext stehen solche Entscheidungen? Welches Bild vom Gottesdienst der Kirche steht dahinter? Vor allem aber: Worum geht es hier wirklich?
Diese Fragen sind bereits diskutiert worden, als im Jahre 2007 die "Alte Messe" unter bestimmten Bedingungen wieder zugelassen wurde, aber nach dem Messbuch von 1962. Es stellen sich zentrale Fragen nach dem Traditionsverständnis:
Birgt das Messbuch von 1962 tatsächlich eine "Alte Messe"? Denn im Grunde liegt hier eine neuzeitliche Überarbeitung der nach Trient festgeschriebenen Ergebnisse vielfältiger mittelalterlicher Überformungen vor. Also: Was ist "die" Tradition des Katholischen in Bezug auf die Liturgie? Eine, wenn ich recht sehe, bislang ungelöste Frage.
Benedikt XVI. wollte damals innerkirchliche Konflikte befrieden: Die Anhänger der "Alten Messe" sind – zumindest in Europa – eine relativ kleine Gruppe, die gleichwohl medial stark präsent ist.
Schon oft ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass es nicht in erster Linie um Liturgie geht, sondern um das II. Vatikanische Konzil mit seinen Positionierungen zum Kirchenbild, zum Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, zur säkularen Gesellschaft und anderem mehr. Die Liturgie ist hier "nur" Symptom – wie so oft. Wenn ich recht sehe, war nun einigermaßen Ruhe eingekehrt, so dass die Entscheidung von Papst Franziskus über die Restriktionen des Alten Ritus verwunderte. Ein Auslöser dürfte der gelegentlich erhobene Alleinvertretungsanspruch auf das wahre Katholische gewesen sein, den aber in anderen Kontexten auch andere Gruppen für sich reklamieren. Ob die Entscheidungen des Papstes aber nützlich sind, bleibt abzuwarten.
DOMRADIO.DE: Warum kann es diese beiden Liturgien ("Alte" und "Neue" Messe) nicht einfach nebeneinander geben?
Odenthal: Es gibt in der reichen Tradition unserer Kirche nicht nur "Alte" und "Neue" Messe: Das neue Messbuch birgt wunderbare Texte spätantiker oder frühmittelalterlicher Liturgietraditionen, die Trient leider nicht mehr kannte. Aber das nach Trient erschienene Messbuch von 1570 hatte die Klugheit einzuräumen, dass alle über 200 Jahre alten Riten der Diözesanliturgien beibehalten werden konnten. Eine einigermaßen durchgehaltene Uniformität gibt es erst – wen wundert es – seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die liturgische Landschaft vorher war plural – ein wirklicher Reichtum an Texten und Formen! Vor diesem Hintergrund sind die Entscheidungen von Franziskus – hart gesprochen – als pluralitätsfeindlich einzuschätzen. Dahinter steht augenscheinlich die Fiktion der Einheit, nun in Fragen der Liturgie.
Und es geht natürlich noch um ein anderes Thema, nämlich das der Macht. Mir ist nicht klar, wie die Entscheidungen des Papstes mit ihrem Eingriff in die Befugnisse der Bischöfe mit seinen Bemühungen um eine Synodale Kirche zusammengehen.
DOMRADIO.DE: Laut dem ehemaligen Privatsekretär des verstorbenen Papstes Benedikt, Georg Gänswein, sei dieser traurig über die erstmalige Einschränkung der Alten Messe durch "Traditionis custodes" im Jahr 2021 gewesen. Warum erfolgt nun diese weitere Begrenzung durch Papst Franziskus?
Odenthal: Schlimmeres kann dem Gottesdienst der Kirche nicht passieren, als dass er kirchenpolitisch instrumentalisiert wird. Dann wird der Frei-Raum des Rituellen zerstört um einer kirchenpolitischen Akzentsetzung willen.
Das ist das Dilemma der Alten Messe: Wer sie feiert, positioniert sich in besonderer Weise. Es müsste uns allen ein Anliegen sein, den Gottesdienst als Frei-Raum des sakramentalen Tuns der Kirche zu schützen – und nicht zu instrumentalisieren, auch nicht im Hinblick auf dieses oder jenes Pontifikat.
DOMRADIO.DE: Hinter der Feier der "Alten Messe" stehe ein andere Kirchenverständnis, das rückwärtsgewandt und anti-modern sei, so lautet oft ein Vorwurf. Gibt es Hinweise in der Liturgie selbst, dass die Feier der "Alte Messe" nicht mit der modernen Gesellschaft kompatibel ist?
Odenthal: Sie stellen eine äußerst schwierige Frage: Was heißt es für den Gottesdienst, "mit der modernen Gesellschaft kompatibel" zu sein? Und, das sage ich jetzt ein wenig doppelzüngig, ist das überhaupt wünschenswert?
Der Gottesdienst macht eine Gegen-Welt auf: die der Transzendenz Gottes. Und doch muss er auf den Alltag bezogen bleiben, ohne ihn peinlich zu wiederholen. Das umzusetzen ist eine hohe Kunst, an der wir alle arbeiten müssen, jenseits von "Alter" oder "Neuer" Messe.
Ich bringe ein konkretes Beispiel aus anderen Kontexten: Manche deutsche Domkirche dünkt sich medial auf vorderster Linie, wenn sie ihren Kirchenraum mit möglichst vielen Bildschirmen ausstattet, damit möglichst alle Teilnehmenden die zentralen Handlungen mitverfolgen können. Doch damit kann leicht das Mystische des Gottesdienstes zerstört werden, das auch davon lebt, nicht nach den Fernsehgewohnheiten in der ersten Reihe zu stehen.
Also: Können die Gewohnheiten einer "modernen" Welt unsere Liturgie bestimmen? Und wenn ja, in welchem Maße und wie? Der Gottesdienst muss die schwere Last tragen, zum einen Ausdruck der Zeit mit ihren Sorgen und Anliegen zu sein, und er muss zum anderen zugleich im besten Sinne "aus der Zeit fallen", uns in eine andere Realität führen, nämlich die der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Damit steht er auch in der Spannung, Ausdruck einer hierarchisch organisierten Kirche zu sein, worüber aber eine Leidsensibilität im Hinblick auf die verwundeten Menschen nicht vergessen werden darf. Ob dies mit "Alter" oder "Neuer" Messe oder noch zu schaffender Formen geschieht: Warum muss dies in einem Entweder – Oder universalkirchlich entschieden werden, ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Intention von Franziskus, die Ortskirchen in ihrer Entscheidungsbefugnis und ihren Lebensvollzügen zu stärken?
DOMRADIO.DE: Wäre eine vielfältigere liturgische "Landschaft" mit Blick auf immer differenziertere katholische Milieus nicht wünschenswert?
Odenthal: Diese Frage ist meines Erachtens die entscheidende. Zunächst besteht immer noch das Problem der Fokussierung auf die Eucharistiefeier. Die Veränderung der pastoralen Räume in den deutschen Diözesen führt nach meiner Wahrnehmung da und dort zur Tendenz, plurale gottesdienstliche Formen wieder einzuschränken. Anderes aber wäre an der Reihe, nämlich die Pluralität von Gottesdienstformaten weiter auszubauen. Das kann aber nicht zentralistisch geschehen, sondern nur vor Ort.
Wenn wir aber doch noch einmal auf die Eucharistiefeier schauen, kommen andere Fragen hinzu: Was ist mit den vielen Menschen, die sich vom Gottesdienst abwenden, weil er durch den Priestermangel zu routiniert, lebensfern, ohne theologische und spirituelle Tiefe abläuft?
Hier wäre eine meines Erachtens wichtigere Baustelle. Und ich plädiere für einen mutigen Schritt, nämlich eine Pluralität auch "nach vorne" umzusetzen: Den reichen traditionellen Schatz der Liturgie, ihrer Symbole, Riten und ihrer Sprache zu ergänzen durch neue Formen, Sprachen und Texte. Das wäre ein ungemein herausforderndes und spannendes Unterfangen, zu dem wir die Hilfe des Gottesgeistes benötigten.
Aber der lebendige Geist Gottes ist unserer Kirche schließlich zugesagt und unterstützt sie nachdrücklich auf dem Weg des Kircheseins und Kirchewerdens.
Die Fragen stellte Mathias Peter.