Ludwig Erhard prägt die Bundesrepublik bis heute

Vater des Wirtschaftswunders und glückloser Kanzler

Schwarzer Anzug, qualmende Zigarre - Ludwig Erhard wirkt heute wie der stereotype Wirtschaftspolitiker vergangener Zeiten. Sein Erbe, die Soziale Marktwirtschaft, prägt die Bundesrepublik jedoch bis heute.

Autor/in:
Johannes Senk
Weihbischof Heinrich Tenhumberg, Leiter des katholischen Büros in Bonn und Bundeskanzler Ludwig Erhard im Jahr 1966 / © N.N. (KNA)
Weihbischof Heinrich Tenhumberg, Leiter des katholischen Büros in Bonn und Bundeskanzler Ludwig Erhard im Jahr 1966 / © N.N. ( (Link ist extern)KNA )

"Wohlstand für Alle" - eine Aussage, der kaum ernsthaft widersprochen worden kann, wurde der programmatische Titel des wegweisenden Werkes von Ludwig Erhard, in dem er sein Konzept der Sozialen Marktwirtschaft darlegt. Als "Vater" des deutschen Wirtschaftswunders prägt sein Erbe die Bundesrepublik bis heute.

Am 4. Februar 1897 geboren, entstammte Erhard einer gemischtkonfessionellen Familie aus dem fränkischen Fürth. Der Vater war katholischer Textilhändler, die Mutter protestantisch. Ludwig wurde ebenso wie seine drei Geschwister im Glauben der Mutter getauft.

Verhältnis zum NS-Staat war ambivalent

Statt das Geschäft seines Vaters zu übernehmen, entschied er sich für einen wirtschaftswissenschaftlichen Karrierezweig und studierte an der Universität Frankfurt. Stark geprägt wurde Erhard dort durch seinen Doktorvater, den jüdischen Nationalökonom Franz Oppenheimer. Dessen sozial-liberales Wirtschaftsdenken rezipierend, schrieb Erhard als Publizist ab 1933 zunächst gegen die Nationalsozialisten und deren protektionistische Ausrichtung für eine offene Wettbewerbswirtschaft und freie Märkte.

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Später diente er zwar als wirtschaftspolitischer Berater der Nazis und fertigte Gutachten über die bestmögliche Nutzung der besetzten Gebiete an. Dennoch blieb sein Verhältnis zum NS-Staat eher ambivalent, auch wenn er sich dem Regime nicht aktiv entgegenstellte.

Schneller politischer Aufstieg

Nach dem Krieg gelang es Erhard, schnell politische Karriere zu machen: Der Vorsitzende de neu gegründeten CDU, Konrad Adenauer, lud ihn zum Parteitag in Recklinghausen ein, um den Delegierten dort das System der Sozialen Marktwirtschaft zu präsentieren. Das war durchaus brisant, unterschied sich Erhards Ansatz doch in einigen Punkten stark vom "christlichen Sozialismus" des Ahlener Programms, das die CDU der britischen Besatzungszone 1947 als Wirtschaftsprogramm verabschiedet hatte.

Den auf katholischer Soziallehre fundiertem Ahlener Programm setzte Erhard ein marktliberales entgegen, in der der Staat zwar den Ordnungsrahmen für den wirtschaftlichen Wettbewerb gibt, die Bürger aber frei auf dem Markt agieren können.

Erhard als Wirtschaftsminister unter Bundeskanzler Adenauer

Erhards Vision wurden für die Bundestagswahl 1949 im Parteiprogramm, den Düsseldorfer Leitsätzen, festgeschrieben. Soziale Marktwirtschaft avancierte im Wahlkampf zum Synonym für die CDU, die die Wahl am 14. August mit 31 Prozent der Stimmen knapp für sich entscheiden konnte. Adenauer wurde erster Bundeskanzler, Erhard sein Wirtschaftsminister.

Der in den 50er Jahren folgende politische und wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik, das sogenannte Wirtschaftswunder, blieb folglich eng mit der Person Erhards verbunden. Zwar ist in der Forschung umstritten, ob ein besonderer Reformtrieb des Ministers für den wirtschaftlichen Aufschwung verantwortlich war, der sich in der Nachkriegszeit auch andernorts abspielte. Doch traf Erhard zumindest die richtigen Entscheidungen, weswegen der "Vater"-Titel ihm auch weiterhin gesichert ist.

Die Zigarre war Erhards Identifikationsmerkmal

Nach Adenauers geplantem Rücktritt 1963 stand Erhard faktisch schon als Nachfolger fest - wenn auch sehr zum Verdruss des scheidenden Regierungschefs. Adenauer hatte Erhard - wiewohl er dessen wirtschaftlichen Kurs stets mitgetragen und gefördert hatte - schon früh die persönliche Eignung für das Kanzleramt abgesprochen und versuchte aktiv, ihn als Nachfolger zu verhindern.

Es sollen insbesondere menschliche Aspekte gewesen sein, die Adenauer missbilligte, etwa Erhards Alkoholkonsum oder die stets mitgeführte Zigarre, die zum festen optischen Identifikationsmerkmal wurde.

Rücktritt im November 1966

Zwar blieb diese Initiative des "Alten" erfolglos; tatsächlich sollte sich die Kanzlerschaft Erhards aber deutlich glückloser herausstellen als seine Ministerzeit. Der Wirtschaftseinbruch Mitte der 1960er Jahre sowie umstrittene Entscheidungen zugunsten der USA führten zu einem Vertrauens- und Autoritätsverlust des Kanzlers innerhalb seiner Partei. Dies endete mit Erhards Rücktritt im November 1966 und der Wahl seines Parteikollegen Kurt Georg Kiesinger als Kanzler.

Noch elf Jahre blieb Erhard danach als Abgeordneter im Bundestag. Schon 1967 gründete er die nach ihm benannte Stiftung, die den Zweck der "Fortentwicklung und Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft" dient. Daneben kehrte er aber auch zu seinen religiösen Wurzeln zurück, wurde erster Vorsitzender der in Münster ansässigen Hermann Kunst-Stiftung zur Förderung der neutestamentlichen Textforschung. Im Alter von 80 Jahren starb der Ex-Kanzler am 5. Mai 1977 in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn an Herzversagen.