Haus der Geschichte in Bonn zeigt "Deutsche Mythen seit 1945"

Vom "Wunder von Bern" bis zu "Wir sind Papst"

Diskussionen um "Fake News" und "alternative Fakten" sind allgegenwärtig. Davon grenzt sich eine aktuelle Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte bewusst ab: Hier geht es um Mythen als Momente, die Identität stiften.

"Wir sind Papst" – eine der berühmtesten Schlagzeilen 2005  / © Tobias Kleinschmidt (dpa)
"Wir sind Papst" – eine der berühmtesten Schlagzeilen 2005 / © Tobias Kleinschmidt ( dpa )

Es beginnt mit einem Gänsehautmoment. Im Eingangsbereich der Ausstellung ertönt die Stimme von Herbert Zimmermann: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen", ruft der Reporter, "Rahn schießt!" Hier bricht die Aufnahme ab. Die allermeisten Besucher dürften den folgenden "Tooor! Tooor! Tooor! Tooor!"– Jubel von der Fußballweltmeisterschaft 1954 jedoch wie von selbst im Kopf ergänzen.

So wird ein Mythos greifbar, erklärt Daniel Kosthorst. Er ist Kurator der Ausstellung "Deutsche Mythen seit 1945", die noch bis zum 14. Oktober im Bonner Haus der Geschichte gezeigt wird.

900 Objekte der kollektiven Erinnerung

"Mythos", das betonten die Ausstellungsmacher, meint hier nicht Märchen oder gar "Fake News". Es geht um Momente, die Eingang in die kollektive Erinnerung gefunden haben und sinnstiftend geworden sind.

Beispielhaft zeigen das über 900 Objekte, etwa der VW Käfer als Ikone des Wirtschaftswunders oder ein Pullover mit dem aufgedruckten Slogan "Je suis Charlie" ("Ich bin Charlie"). Mit diesem Satz bekundeten Millionen Menschen nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" im Januar 2015 ihre Solidarität.

Manche Objekte verweisen auf skurrile Situationen: Eine aus leeren Colabüchsen gefertigte Skulptur erinnert beispielsweise an die Debatten um das Dosenpfand zu Beginn des neuen Jahrtausends. Vom Waldsterben bis zu aktuellen Anstrengungen gegen den Klimawandel zeigt die Schau aber auch die Selbstwahrnehmung Deutschlands als Vorreiter in punkto Umweltbewusstsein.

Über den "Wie sind Papst"-Hype

Zur Selbstbespiegelung im wahrsten Sinne des Wortes lädt die Schau ein, wenn es um eine der wohl bekanntesten Schlagzeilen der jüngeren Vergangenheit geht. "Wir sind Papst" titelte die "Bild"–Zeitung 2005 nach der Wahl Benedikts XVI. Vor einem großformatigen Nachdruck dieser Titelseite können Besucher auf rotem Samt Platz nehmen und ein Selfie aufnehmen.

"Der Versuch, diese Papstwahl zu einer nationalen Erzählung zu machen, ist nicht gelungen", meint Kosthorst. Lediglich die Formulierung "Wir sind Papst" sei populär geblieben, so der Kurator. Die Zeitung selbst wiederholte ihren Aufmacher gelegentlich, etwa mit einem gigantischen Banner zum Papstbesuch in Deutschland 2011.

In verschiedenen Zusammenhängen taucht das Wortspiel bis heute immer wieder auf – bisweilen als Persiflage, so im Slogan eines Lieferdienstes, der mit "Wir sind Pizza" wirbt. Eine Zeit lang habe es einen regelrechten "Wir sind Papst"–Hype gegeben, der aber schnell wieder abgeflaut sei, so beschreibt es Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte.

An verbindenden Mythen fehlt es Europa nicht

Der amtierende Papst taucht in der Ausstellung gleich zweimal auf. Zu sehen ist Franziskus im Jahr 2016 als Empfänger des Karlspreises, in einer Reihe mit der Erinnerung an eine Probeabstimmung 1950.

Damals stimmten in Castrop-Rauxel und Breisach am Rhein jeweils über 80 Prozent der Befragten für die Gründung eines europäischen Bundesstaats. Eine Zustimmung, von der heutige EU-Vertreter nur träumen können, wie aktuelle, oft beißend ironische Karikaturen und Scherze illustrieren.

An verbindenden Mythen fehlt es Europa bislang, so die These der Schau. Auf einer Schautafel prangt zwar ein Zitat von Papst Franziskus, in dem er den europäischen Zusammenhalt beschwört. Doch ob der Papst aus Argentinien entscheidend zu einem politischen Konsens beitragen kann, daran zweifelt Kosthorst.

Deutschland spielt eine Sonderrolle

Zugleich meint er, dass gemeinsame Erzählungen angesichts aktueller Herausforderungen durchaus noch entstehen könnten. "Allerdings kann man sie nicht künstlich erzeugen."

Deutschland spielt im europäischen Vergleich ohnehin eine Sonderrolle, wie der letzte Ausstellungsraum zeigen soll. In eingespielten Zitaten verweisen Regierungschefs der europäischen Nachbarländer selbstverständlich auf weit zurückliegenden Ereignissen und Figuren: Jeanne d'Arc oder die "Magna Charta" zum Beispiel.

Deutschland habe 1945 dagegen einen Mythenschnitt erlebt, erklärt Kosthorst; ältere Erzählungen etwa von Kaiser Barbarossa seien fast vergessen. In diesem Sinne will die Ausstellung einen Denkanstoß geben 0 denn, so wird der Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann zitiert: "Jede Zeit braucht ihre Mythen".

Von Paula Konersman


Eingang zur Dauerausstellung im Haus der Geschichte in Bonn / © Axel Thünker (Stiftung Haus der Geschichte)
Quelle:
KNA
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