Das große Friedensoratorium verlagert sich zu YouTube

"Lux in Tenebris" im Netz

Das Friedensoratorium "Lux in Tenebris" von Helge Burggrabe sollte eigentlich am 7. und 8. Mai im Kölner Dom aufgeführt werden. Weil zurzeit alle Veranstaltungen ausfallen, bietet Burggrabe seit Wochen jeden Freitag einen Livestream an.

Der Komponist Helge Burggrabe hat mit dem Dreikönigsoratorium das erste Oratorium für den Dom überhaupt geschrieben / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Komponist Helge Burggrabe hat mit dem Dreikönigsoratorium das erste Oratorium für den Dom überhaupt geschrieben / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Anlässlich des Gedenktags zum Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai gibt es einen großen Sonder-Livestream aus dem Bremer Dom mit Hagios-Gesängen sowie Texten des Theologen Pierre Stutz. Der Stream wurde bereits aufgezeichnet. Bei den vergangenen Livestreams waren auch Rezitatoren dabei. Die Videos gehen jeweils 30 Minuten und bestehen aus Musik zum Mitsingen, regen aber auch zum Nachdenken an und sollen Gemeinschaft erlebbar machen. Der Schweizer katholische Theologe und Autor Pierre Stutz ist in diesem Video nun dabei. Wie kam es dazu?

Helge Burggrabe (Komponist des Friedensoratoriums "Lux in Tenebris"): Pierre Stutz war vor einiger Zeit mal in Chartres dabei, wo ich regelmäßig Seminare gebe, um die Kathedrale von Chartres zu erkunden. Über die Zeit ist jetzt eine richtige Freundschaft entstanden. Wir schauen, dass wir etwas Gemeinsames mit seinen Gedanken und Texten sowie meiner Musik gestalten.

DOMRADIO.DE: Sie zeichnen im Bremer Dom auf und senden das dann später bei YouTube. Kann dann jeder mit dabei sein?

Burggrabe: Ja, genau. Ab 19 Uhr kann da jeder mit dabei sein. Mitsingen, aber auch einfach zuhören, so wie man möchte.

DOMRADIO.DE: Neben diesen regelmäßigen Livestreams wollen Sie auch das Friedensoratorium "Lux in Tenebris" zeigen, was ausfallen musste und als Aufzeichnung für alle zugänglich gemacht wird. Ursprünglich war geplant, es in Köln aufzuführen und parallel in Bremen laufen zu lassen. Wie setzen Sie das jetzt im Bremer Dom um?

Burggrabe: Dieses Oratorium, "Lux in Tenebris", heißt übersetzt: "Licht in der Finsternis". Es ist ein Werk für den Frieden und es geht um die Frage, was jeder und jede Einzelne selbst zum Frieden beitragen kann. Für mich war klar, dass diese Inszenierung am 8. Mai nicht ausfallen darf. Es ist der große Gedenktag zu 75 Jahren Kriegsende.

Insofern habe ich jetzt mit den Solisten, die in Bremen aufgetreten wären, ein Friedenskonzert im leeren Bremer Dom aufgenommen. Das kann man sich dann am 8. Mai ab 10 Uhr anschauen und sich mit der Thematik des Kriegsendes beschäftigen. Es geht aber auch darum, eine Brücke zur heutigen Zeit zu schlagen. Wie kann es mit dem Frieden weitergehen bzeziehungsweise noch besser werden? In meinen Augen herrscht noch nicht wirklich Frieden.

DOMRADIO.DE: Musik mit Chören, Solisten, Streichern und Perkussionisten verschmelzen mit Bibeltexten. Waren bei der Aufzeichnung für den 8. Mai weniger Leute dabei?

Burggrabe: Natürlich. Durch die aktuellen Bestimmungen haben wir das ganz stark reduziert und versucht, die Essenz herauszustellen. Da sind zum Beispiel Texte von Elie Wiesel, Mahatma Gandhi, aber auch Hilde Domin dabei. Deren Texte kommen auch im Oratorium vor und sind mit meiner Musik aus dem Oratorium verbunden, das in kleiner Besetzung gespielt wird. Außerdem gibt es Orgelmusik von französischen Komponisten, weil ich denke, dass Frankreich und Deutschland wie ein Herzstück in Mitteleuropa sind. Wenn diese beiden großen Länder es schaffen, in Frieden gemeinsam zu leben, dann herrscht auch in Europa Frieden.

DOMRADIO.DE: Was war bei der Aufzeichnung alles anders als bei einer Aufführung mit Publikum?

Burggrabe: Ich glaube, uns geht es so wie den meisten Menschen, dass wir einfach den unmittelbaren Kontakt stark vermissen. Wer schon mal in einem Chor gesungen hat, weiß, was da durch gemeinsamen Gesang entstehen kann. Ich mache auch Hagios-Abende in verschiedenen Kirchen. Die werden jetzt wohl bis auf lange Zeit ausfallen. Insofern gibt es da einen schmerzlichen Verlust.

Ich habe mich aber auch gefragt, was denn eigentlich die Essenz ist? Der Sprecher Erik Roßbabder, ein großer Sprecher hier in der Region Bremen, der von der Shakespeare Company kommt, ist jetzt dabei und spricht diese Texte sehr intensiv. Da kommt zum Beispiel "Abel, steh auf!" vor. Damit fängt es anders zwischen uns allen an. Es hängt von jedem und jeder Einzelnen ab, wie es in Europa und der Welt weitergeht und ob wirklich Friede herrscht.

DOMRADIO.DE: Als freier Künstler sind Sie auch von finanziellen Einbußen betroffen. Seminare und die "Lux in Tenebris"-Aufführungen fallen aus. Das alles kostet viel Geld. Der Verein "musica innova e.V." trägt diesen Hagios-Livestream und möglicherweise auch ein weiteres Projekt, bei dem ganz viele Menschen mitmachen und sich beim Singen filmen. Daraus wird dann am Ende ein Film. Wie funktioniert das?

Burggrabe: Es gibt ein Lied von mir mit dem Titel "HINENI". Das ist hebräisch und bedeutet "Hier bin ich". Das ist zum Beispiel das, was Mose geantwortet hat, als ihn Gottes Stimme aus dem brennenden Dornbusch beim Namen gerufen hat. Meine Vorstellung ist, dass das ganz viele unterschiedliche Menschen singen. Auch in unterschiedlichen Sprachen, "Ju suis la" oder "i bin doa", zum Beispiel, wie mir jetzt jemand aus der Schweiz zugeschickt hat.

Meine Vorstellung ist, dass jetzt, wo gerade jeder für sich sein muss, man davon ein Video aufnimmt und uns zuschickt. Daraus bauen wir dann einen großen Film, der eben auch thematisch zum 8. Mai gehört und zeigen soll, dass wir in aller Unterschiedlichkeit sein dürfen, in allem Respekt in dieser Unterschiedlichkeit und dass das die Basis, das Fundament für ein menschliches Miteinander ist.

DOMRADIO.DE: Also man lernt eine Stimme, filmt sich beim Singen und schickt es dann an Sie und Sie schneiden das dann alles zusammen. Am 15. Mai ist das Video zu sehen und die Musik zu hören.

Burggrabe: Genau. Das gibt es bei YouTube auf meiner Seite. Dort finden sich auch Filme zum Proben und sogar die Noten. Dann nimmt man sich einfach selber auf und schickt uns das Video.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR
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