Macron will "Recht auf Abtreibung" in Frankreichs Verfassung

"Die Freiheit der Frauen zum Abbruch ist ab 2024 unumkehrbar"

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht Ernst. Schon 2024 soll in der Verfassung ein "Recht auf Abtreibung" verankert sein. Das hat der Präsident auf der Plattform X angekündigt.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Demonstration für das Recht auf Abtreibung in Frankreich / © Corinne Simon (KNA)
Demonstration für das Recht auf Abtreibung in Frankreich / © Corinne Simon ( KNA )

Der Vorsatz war schon lange bekannt. Nun macht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Nägel mit Köpfen. Am Sonntag kündigte er auf der Plattform X seinen Zeitplan an, um ein "Recht auf Abtreibung" in der Verfassung zu verankern. Demnach soll der Gesetzentwurf demnächst dem Staatsrat vorliegen, Frankreichs oberstem Verwaltungsgericht. Im Gesetzgebungsverfahren berät es die Regierung in rechtlichen Fragen. Bis Jahresende gehe der Entwurf dann an den Senat, das Oberhaus. Und 2024 schon, so Macron vollmundig, werde die Freiheit der Frauen zum Schwangerschaftsabbruch unumkehrbar sein.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron / © Ludovic Marin (dpa)
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron / © Ludovic Marin ( dpa )

Frankreichs Präsident hat sich wiederholt für ein "Recht auf Abtreibung" im Verfassungsrang ausgesprochen, zuletzt am Weltfrauentag im März. Auch für den damaligen französischen EU-Ratsvorsitz kündigte Macron im Januar 2022 an, den Zugang zu Abtreibungen in der europäischen Grundrechte-Charta verankern zu wollen. In einigen EU-Mitgliedstaaten gebe es Versuche, "bestimmte Grundrechte zurückzunehmen".

Im Jahr durchschnittlich 230.000 Abtreibungen

Im Herbst 2020 hatte die Nationalversammlung nach hitzigen Debatten die Frist für Abtreibungen von 12 auf 14 Wochen verlängert. Seit 2001 werden in Frankreich im Jahresdurchschnitt rund 230.000 Abtreibungen vorgenommen, etwa ein Viertel davon außerhalb von Krankenhäusern. Etwa jede vierte Schwangerschaft wird dadurch beendet. Die Einnahme von Abtreibungspräparaten zu Hause ist bis zur siebten Woche gestattet.

Die Befürworter der Fristverlängerung argumentierten damals, derzeit gingen viele Schwangere nach Spanien, Großbritannien oder in die Niederlande, wo Abbrüche bis zur 22. Woche erlaubt seien. Auch führten nur rund drei Prozent der Gynäkologen und Hebammen im Land selbst derzeit Abtreibungen durch. Dadurch gebe es lange Wartezeiten, die Abbrüche letztlich nicht mehr legal möglich machten.

Eine lang anhaltende Diskussion

Wie so vieles, wird auch die Abtreibungsfrage in Frankreich mit großer Vehemenz ausgefochten, politisch wie auf der Straße. Das zeigt der Blick in die Geschichte: Nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 verzeichnete das Deutsche Reich einen starken Bevölkerungszuwachs, der Verlierer aber einen Rückgang seiner Geburtenrate. Das ließ in Frankreich eine ideologische Debatte neu aufbranden, die bereits seit den Zeiten Napoleons geführt wurde - und die das Land auch noch eineinhalb Jahrhunderte später beschäftigt.

Artikel 317 von Napoleons Strafgesetzbuch von 1810 sah vor, dass "wer durch Essen, Trinken, Medizin, Gewalt oder auf andere Weise bei einer schwangeren Frau eine Abtreibung bewerkstelligt, mit Freiheitsstrafe belegt" wird. Dasselbe galt für die Frau selbst. Zwar wurde dieses Gesetz nicht mit voller Härte angewandt - doch letztlich wurde im Verlauf des sozial prekären 19. Jahrhunderts erwartet, dass gerade die Frauen des Proletariats ausreichend künftige Arbeiter und Soldaten hervorbrachten, ungeachtet ihrer Lebensumstände und vielfach begleitet von Verelendung und Hunger.

"Engelmacherin" Clemence Thomas

Dagegen liefen um die Jahrhundertwende linke Pädagogen, Frauenrechtler und Sozialreformer Sturm und riefen zu Geburtenbeschränkung und "Mütterstreik" auf. Konservative Aktivisten, "Natalisten" (Geburtler) genannt, wetterten ihrerseits gegen eine drohende "Entvölkerung" Frankreichs und ein "Verbrechen an der Nation".

Im aufgeheizten gesellschaftlichen Klima der frühen 1890er Jahre meldete sich die sogenannte Engelmacherin Clemence Thomas zu Wort und erklärte, in den vergangenen Jahrzehnten dutzendfach Abtreibungen vorgenommen zu haben; 49 Frauen wurden während des Prozesses vorgeladen und alle freigesprochen, Thomas dagegen zu zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Bis zu drei Jahre Haft plus Geldstrafe für eine Abtreibung

Nach dem verlustreichen Ersten Weltkrieg herrschte einmal mehr die Sorge darum vor, Frankreich wieder neu zu "bevölkern". Auch wenn zum Vatikan seit 1902, im Zuge der Trennung von Kirche und Staat, keine diplomatischen Beziehungen mehr bestanden: Eine große Parlamentsmehrheit verabschiedete am 31. Juli 1920 im Eiltempo eine strikte Neuauflage des Abtreibungsgesetzes von 1810.

Sechs Monate bis drei Jahre Haft plus Geldstrafe für Beteiligung an einer Abtreibung; bis zu sechs Monate Haft plus Geldstrafe bei Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, so lautete das Strafmaß. Fast ein halbes Jahrhundert blieben das "Gesetz von 1920" und ein absolutes Verhütungsverbot unverändert in Kraft. Noch 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, landete eine Frau, die abgetrieben hatte, wegen Landesverrats sogar auf dem Schafott der Vichy-Regierung.

Abtreibung tolerieren ohne sie zu fördern

Der Hippie-Liedermacher Antoine (Muraccioli) setzte der "Loi de 1920" ein beklemmendes lyrisches Denkmal. Damals, 1966, tobte einmal mehr ein erbitterter Kampf um eine Revision. Antoine singt von einer alleinerziehenden Mutter mit neun Kindern, die in einer winzigen Wohnung haust. Ab und zu kommt der Ehemann vorbei und verlangt sein Recht - und bald darauf ist sie wieder schwanger. Hunger, Verzweiflung und Chancenlosigkeit sind ihre täglichen Begleiter - bis sie eines Tages den Gashahn aufdreht, als die Kinder endlich alle eingeschlafen sind.

Mit den Gesetzen "Neuwirth" von 1967 und "Veil" 1975 wurde das Gesetz von 1920 abgeschafft. Seit 1967 durften französische Frauen die Pille nehmen; 1975 wurden Schwangerschaftsabbrüche bis zur 10., seit 2020 bis zur maximal 14. Woche straffrei gestellt. Die damalige Familienministerin und Auschwitz-Überlebende Simone Veil (1927-2017) betonte in der Parlamentsdebatte im November 1974: "Ich sage mit all meiner Überzeugung: Abtreibung muss die Ausnahme bleiben, der letzte Ausweg für hoffnungslose Situationen. Aber wie können wir Abtreibung tolerieren, ohne dass sie ihren außergewöhnlichen Charakter verliert; ohne dass die Gesellschaft sie zu fördern scheint?" Noch ein halbes Jahrhundert später klingen diese Worte nach.

Quelle:
KNA