DOMRADIO.DE: Der Deutsche Lehrkräftepreis 2025 ging unter anderem an Sie. Herzlichen Glückwunsch dazu. Wer entscheidet darüber, ob eine Lehrkraft ausgezeichnet arbeitet?

Magnus Osterkamp (Evangelischer Religionslehrer in Borken): Das entscheiden die richtigen Expertinnen und Experten für Unterricht, nämlich unsere Schülerinnen und Schüler. Also nicht irgendwelche Professorinnen und Professoren oder Kolleginnen und Kollegen, sondern die Leute, die sich mit Unterricht am besten auskennen, weil sie am meisten Ahnung haben. Die können einen nominieren und das macht diesen Preis so wahnsinnig wertvoll.
DOMRADIO.DE: In dieser Woche waren Sie zur Preisverleihung in Berlin. Martin Fugmann vom Vorstand der Heraeus Bildungsstiftung sagte in seiner Würdigung: "Sie sind Vorbild. Sie haben stets ein offenes Ohr für Ihre Schülerinnen und Schüler. Sie geben Schule Herz, Haltung und Menschlichkeit." Das klingt so, als hätten Sie jeden Schultag große Lust, mit Schülerinnen und Schülern zu arbeiten.
Osterkamp: Ja, das stimmt. Ich versuche mich jeden Morgen daran zu erinnern, dass Eltern uns das Wichtigste überlassen, was es in ihrem Leben gibt: ihre Kinder. Ich sehe es als Privileg an, dass ich mit diesen wichtigen Menschen zusammen überlegen darf, dass ich mit ihnen diskutieren darf, dass ich Zeit mit ihnen verbringen und sie beim Aufwachsen begleiten darf. Ich begleite sie von der 5. bis zur 13. Klasse und auch, wenn das manchmal freitags in der siebten Stunde nicht immer ganz einfach ist, versuche ich mich trotzdem immer wieder daran zu erinnern. Ich bin einfach gerne glücklich.

DOMRADIO.DE: Ihre Fächer sind Französisch und evangelische Religion. Wie hält man die Schülerinnen und Schüler heutzutage im Reli-Unterricht bei Laune?
Osterkamp: Indem ich ihnen immer wieder zeige, dass Religion ein superaktuelles Fach ist. Im Moment diskutiere ich zum Beispiel häufig mit meinen Schülerinnen und Schülern über KI. KI geht nicht mehr weg. Irgendwann, wenn es nur noch selbstfahrende Autos gibt, wird KI in einer Unfallsituation darüber bestimmen, welches Opfer in Kauf genommen wird. Da braucht es theologisch, ethisch und philosophisch ausgebildete Menschen.
Wenn wir diese Entscheidung den Leuten überlassen, die nur Zahlen recht geben, also etwa den BWL-erinnen und BWL-ern sowie den Juristinnen und Juristen, sind wir auf einem falschen Weg. Wenn ich im Reli-Unterricht erkläre, dass es von allen Religionsgemeinschaften wichtige Denkanstöße dafür gibt, dann merken die Schülerinnen und Schüler: Auch das, was sich die Menschen schon vor 2000 Jahren überlegt haben, ist heute immer noch wichtig.
DOMRADIO.DE: Kirche verliert kontinuierlich an gesellschaftlichem Rückhalt. Was sagen Sie Ihren Kindern und Jugendlichen, damit die merken, dass Kirche doch Relevanz hat?
Osterkamp: Ich sage denen vor allen Dingen immer: Seid ehrlich zu euren Pfarrerinnen und Pfarrern, zu eurem Priester. Wenn ihr in einen Gottesdienst geht und gelangweilt rauskommt, geht bitte zurück und sagt euren Pfarrerinnen, Pfarrern und Priestern das. Denn es ist ihre Aufgabe, dass wir gestärkt aus einem Gottesdienst oder einer Messe rausgehen.
Pfarrerinnen, Pfarrer und Priester müssen ein ehrliches Feedback bekommen und zur Not noch mal ein Seminar in Predigtkunde machen, damit sie uns Gläubige bestärken, damit wir gerne in die Kirche kommen.
DOMRADIO.DE: Neben dem Unterricht leiten Sie eine Diversitäts-AG. Können Sie sich noch an die erste Stunde erinnern? Standen Sie alleine da? Oder hat sich jemand getraut, zu kommen?
Osterkamp: Das ist von Schule zu Schule unterschiedlich. An allen Schulen, an denen ich war, habe ich eine Diversitäts-AG gegründet und in Leverkusen beispielsweise waren wir sofort mit sechs, sieben Menschen in der AG und waren am Ende 30 Leute. Wir haben die erste All-Gender-Toilette in ganz Leverkusen gegründet, wir haben Politikerinnen und Politiker eingeladen, wir haben für Sichtbarkeit gesorgt.
In Borken stand ich in der ersten Stunde mit meiner Regenbogenflagge alleine da. Mittlerweile bin ich sowohl an der Gesamtschule als auch am Gymnasium, habe einen Stamm von 10 bis 16 Schülerinnen und Schülern, die ganz treu kommen und sich für die Sichtbarkeit von jeglicher Diversität einsetzen möchten.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Resonanz heute?
Osterkamp: Ich leite diese AGs, damit wir Menschen dazu bringen, andere Menschen mitzudenken. Ich kann nur das mitdenken, was ich kennengelernt habe. Wenn das dazu führt, dass an dem Gymnasium 1.500 Leute und an der Gesamtschule 1.200 Leute mehr Menschen in ihrem Leben mitdenken, dann ist das ein guter Weg, um zu einer Gesellschaft zu kommen, die stärker, demokratischer und zukunftsfähiger aufgebaut ist.
Das Interview führte Katharina Geiger.