Morgens kurz vor neun Uhr, die ersten Migranten warten vor dem Büro von Priester Alfred Vella auf ihren Termin. Der 60-Jährige leitet die "Emigrants Commission" auf Malta, unweit des maltesischen Außenministeriums. Die Nichtregierungsorganisation setzt sich seit Jahrzehnten für Migranten ein.
"Alles begann in den 50er Jahren", sagt Vella. Sein Vorgänger, der bald 89 Jahre alte Priester Philip Calleja, eröffnete damals das Büro. Ziel war es ursprünglich, mit den Maltesern in Kontakt zu bleiben, die auswanderten. "Damals suchten viele ihr Glück in den USA oder Kanada", erzählt Vella. Die "Emigrants Commission" unterstützte sie und versuchte, ihnen Halt zu geben. Sie kümmerte sich auch um die maltesischen Priester in anderen Ländern. Doch mit der Zeit veränderten sich die Aufgaben der Organisation. Der Mittelmeer-Inselstaat Malta mit seinen heute rund 430.000 Einwohnern wurde im Laufe der Jahre immer mehr zum Zielland für Migranten und Bootsflüchtlinge.
Vella, vom Erzbischof in die "Emigrants Commission" berufen, kümmert sich heute um die Dokumente der Migranten, unterstützt sie bei Anträgen, sucht Arbeit oder Ausbildungsplätze für sie. Vor seinem Büro wartet Walid aus Libyen. Er kam 2011 ohne seine Familie nach Malta, als der Krieg in seiner Heimat eskalierte. Damals war er 20 Jahre alt. Seine beiden Schwestern und vier Brüder leben mit den Eltern inzwischen in Tunesien, er selbst studiert auf Malta Umweltingenieurwesen. Finanzielle Unterstützung bekommt Walid von der "Emigrants Commission". Einmal in der Woche schaut er deshalb in Vellas Büro vorbei.
Migranten hoffen auf ein besseres Leben
Der junge Mann könnte sich vorstellen, nach seinem Bachelorstudium in ein anderes Land zu gehen. Den Plan, Libyen so abzusichern, dass die Menschen keine Möglichkeit mehr haben, über das Meer nach Europa zu kommen, hält Walid für falsch. "Die Syrer in Libyen haben dann keine Chance mehr", sagt er. Sie könnten weder in ihr Heimatland noch nach Europa.
Neben Walid sitzt Mohammed. Er kommt aus Somalia. Mit 17 verließ er sein Land und machte sich auf den Weg nach Europa. Die Reise habe mehr als zwei Jahre gedauert. Ein Jahr habe er in der Wüste gelebt, erzählt er - und beginnt zu lachen. Er habe einfach kein Geld für die Weiterreise gehabt. Seine Eltern seien verstorben, er habe niemanden in Somalia, sagt er. Mit dem Boot sei er von Libyen aus nach Lampedusa gekommen. Nach einem Aufenthalt in Italien lebt er nun seit einigen Jahren in Valletta. Mittlerweile hat er eine Frau und einen Sohn. Doch die Ungewissheit, ob er bleiben kann, beunruhigt ihn. Aus einem beigefarbenen Umschlag zieht er ein amtliches Schreiben der maltesischen Behörden hervor. In dicken schwarzen Lettern steht dort "inadmissible"; sein Asylantrag wurde abgelehnt. Er will Priester Vella fragen, was jetzt zu tun ist.
Der Geistliche lässt sich nicht so schnell entmutigen. Auch wenn er manchmal Momente habe, in denen er sich die Sinnfrage stelle. "Ich liebe meine Arbeit", sagt Vella. "Ich gebe mein Bestes, um das Evangelium zu leben." Ein Flüchtling sei ihm besonders in Erinnerung geblieben: Muna. Er zeigt ein Foto, auf dem er ein afrikanisches Baby im Arm hält. Muna sei in einem Flüchtlingsboot zur Welt gekommen. Ein russischer Tanker habe das Boot gerettet. Doch weil das Mädchen auf hoher See geboren wurde, sei es jahrelang unregistriert geblieben.
Erst im vergangenen Herbst entschied ein Gericht, dass Malta Muna registrieren müsse. Vella hatte die Mutter in dem Prozess unterstützt. Es ist eine dieser Geschichten, die er als "Erfolg" beschreiben würde.