DOMRADIO.DE: Die Massenflucht der Rohingya aus Myanmar ist sechs Jahre her. Damals sind mehr als eine halbe Million Menschen vor brutaler Gewalt in ihrem Land geflohen. Die UN sprach und spricht auch heute noch von ethnischen Säuberungen. Der Grund dahinter war ihre Religionszugehörigkeit. Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit und wurden im buddhistisch geprägten Myanmar vom Militär angegriffen. Damals ist in Bangladesch das größte, eigentlich provisorische Flüchtlingscamp der Erde entstanden. Und die Menschen sind nach wie vor da. Wie kann das denn sein?
Cordula Wasser (Leiterin der Asien-Abteilung von Malteser International): Das große Problem ist, dass die Menschen gar nicht wissen, wie sie wieder nach Myanmar zurückkommen sollen. In Myanmar sind sie nicht als Staatsbürger anerkannt. Daher hat die Regierung in Myanmar relativ wenig Interesse, diese Flüchtlinge zurückzunehmen.
Gleichzeitig hat die Regierung in Bangladesch wohl großes Interesse, diese Flüchtlinge nicht mehr in ihrem Land zu haben.
Aber in Myanmar tobt seit Februar 20 21 auch ein Bürgerkrieg. Die Militärregierung hat geputscht und die Zivilbevölkerung kämpft gegen diese Militärregierung. Deswegen ist eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Heimatland überhaupt nicht in Sicht.
DOMRADIO.DE: Sie machen sich im Moment ganz große Sorgen um diese Menschen in dem Camp. Wieso?
Wasser: Das Problem ist, dass diese Krise in Vergessenheit gerät. Es gibt so viele andere Krisen derzeit auf der Welt, wie den Ukraine-Krieg, den Krieg in Syrien und viele Flüchtlinge aus Afrika, dass sich Asien für die Menschen ziemlich weit weg anfühlt und die Geldgeber diese Menschen einfach vergessen.
So hat jetzt die UN die Lebensmittelversorgung von zwölf US-Dollar pro Flüchtling pro Monat auf acht US-Dollar reduziert. Wir sind vor allem im Gesundheitsbereich tätig und wir sehen, dass das enorme Auswirkungen auf Gesundheit und Mangelernährung hat, insbesondere von Kindern und Frauen.
DOMRADIO.DE: Können Sie konkret beschreiben, wie die Menschen da aktuell leben?
Wasser: Eigentlich immer noch so wie vor sechs Jahren. Das sind Camps, wo ziemlich einfache Hütten aus Bambus stehen. Teilweise leben relativ große Familien in einer Hütte - sechs, sieben, teilweise bis zu zwölf Menschen auf kleinstem Raum.
Sie haben richtige keine Möglichkeit, zu arbeiten. Sie arbeiten teils ein bisschen als Volunteers in den verschiedenen Hilfsorganisationen, aber sie haben keine wirkliche Arbeit. Sie sind absolut von Hilfslieferungen und von der Unterstützung der Organisationen abhängig, weil sie sonst kein Einkommen generieren können.
DOMRADIO.DE: Wer sechs Jahre unter solchen Bedingungen in so einem Camp lebt, hat mit Sicherheit auch psychologische Probleme. Können Sie dazu etwas sagen?
Wasser: Wir bieten in unseren Gesundheitszentren von Beginn an auch psychosoziale Betreuung an. Wir haben in allen Kliniken auch Psychologen und Psychiater beschäftigt, weil von Anfang an die traumatischen Erlebnisse der Flucht enorme Auswirkungen hatten.
Auch heute noch sehen wir, dass die Menschen extrem traumatisiert und frustriert sind, weil sie einfach keine Möglichkeit haben, ihr eigenes Leben zu leben und absolut abhängig sind. Das heißt, wir sehen sehr viele psychische Probleme bei den Menschen und Verzweiflung. Mentale Gesundheit ist tatsächlich ein ganz großes Problem.
DOMRADIO.DE: Die Geflüchteten arbeiten zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung als Freiwillige mit. Das heißt, es entwickeln sich schon Strukturen im Camp, die zeigen, dass man sich untereinander hilft und dass es eine Form von Organisation gibt?
Wasser: Ja. Von Anfang an haben wir - wie auch alle anderen Organisationen - versucht, den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, so weit wie möglich mitzuarbeiten. Die bangladeschische Regierung hat sich erst gesperrt, weil sie keine zusätzlichen Strukturen schaffen wollte.
Aber tatsächlich ist es so, dass die Flüchtlinge als Gesundheitshelfer mobile Services anbieten können. Sie machen Aufklärungskampagnen im Bereich Mutter-Kind-Gesundheit, aber auch Ernährung.
Aber sie sind auch Ersthelfer. Immer wieder brechen Feuer in diesen Camps aus. Im Mai gab es eine große Überflutung. Da sind die Flüchtlinge selbst diejenigen, die als erstes helfen und auch in den Bereichen geschult sind, damit sie Ersthelfer sein können.
Das Interview führte Verena Tröster.