KNA: Im August hat die Bundesregierung ein neues Zivilschutzkonzept vorgestellt. Der Malteser Hilfsdienst ist eine der großen Organisationen in Deutschland, die im Katastrophenschutz sowie im Rettungsdienst tätig ist. Sind Sie schon bei der Umsetzung?
Benedikt Liefländer (Bereichsleiter Notfallvorsorge bei den Maltesern): Es gab damals ja sehr seltsame Reaktionen auf das Konzept. Einerseits wurde der Bundesregierung Panikmache vorgehalten, andererseits drehte sich die Debatte lange lediglich um Vorräte an Mineralwasser, Nudeln, Reis und Batterien. Der Staat muss aber Vorsorge treffen für Krisensituationen; deshalb sollte man das Thema ernst nehmen, aber nicht in Panikmache verfallen.
KNA: Nochmal zu den Maltesern: Sie übernehmen medizinische Versorgung bei Großveranstaltungen wie Katholikentagen. Bereiten Sie sich konkret auf Terrorangriffe vor?
Liefländer: Wir müssen auf solche Ereignisse vorbereitet sein, schon allein, um unsere Helfer körperlich, aber auch mental zu schützen. Schließlich zielen Terroristen heutzutage darauf, maximalen Schrecken zu verbreiten und dementsprechend Schaden anzurichten. Helfer können deshalb selber zu bevorzugten Zielen werden.
KNA: Das heißt, es geht um Einsatztaktik?
Liefländer: Die Einsatztaktik ist natürlich hier in erster Linie Sache der Polizei. Aber wenn man auf die Terrorangriffe von Paris schaut, können Opfer verbluten, weil die medizinische Hilfe erst dann einsetzt, wenn die Täter ausgeschaltet sind. Wenn man das verhindert will, muss gegebenenfalls die medizinische Hilfe früher einsetzen, also noch während die Täter bekämpft werden. Das alles wird noch debattiert. Aber unabhängig davon müssen sich Rettungssanitäter und Ärzte klar machen, dass sie im Zweifel Ziele von Terroristen sind und deshalb den Selbstschutz in den Vordergrund stellen müssen.
KNA: Ist auch ein Umdenken bei der Behandlung von Verletzten nötig?
Liefländer: Das ist leider so. Im Rettungsdienst sind wir statistisch vor allem mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen beschäftigt. Bei Terrorangriffen treten aber gehäuft Schussverletzungen, Splitterwunden oder großflächige Weichteilverletzungen mit großem Blutverlust auf, bis hin zum Verlust von Gliedmaßen. Darauf muss man psychologisch vorbereitet sein, aber auch mit Verbandsmaterial und medizinischem Gerät.
Außerdem muss das Vorgehen bei der Behandlung der Opfer überdacht werden. Bisher werden Verletzte zunächst gerettet und dann - bei einer großen Anzahl von Verletzten - zu einem Behandlungsplatz vor Ort gebracht. Von dort aus erfolgt dann der Transport in Krankenhäuser. In Terrorlagen - bei Dutzenden von Verletzten - ist das aber gegebenenfalls so nicht zu machen. Da muss man die Schwerverletzten so schnell wie möglich in die Kliniken bringen. Wir sind dabei, diese Elemente großflächig in unsere Einsatzpläne sowie die Aus- und Fortbildung zu integrieren.
KNA: Auch der demografische Wandel ist ein Thema für die Rettungsdienste. Rechnen Sie künftig mit mehr Einsätzen?
Liefländer: Das ist ein Problem, das uns schon länger beschäftigt. Wir haben heute bereits vermehrt Bürger mit Mehrfacherkrankungen. Früher wäre man daran gestorben, heute leben viele von ihnen zu Hause oder in Heimen - und das bei einem höheren Risiko, kurzfristig medizinisch versorgt werden zu müssen.
KNA: Der demografische Wandel wird das verstärken?
Liefländer: Das ist anzunehmen. Dazu kommen eine wachsende Zahl an Single-Haushalten und ein Ausbluten ländlicher Regionen. Dort sinkt die Arzt- und möglicherweise auch die Krankenhausdichte. Hausärzte machen immer weniger Hausbesuche. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rettungsfahrten in Notfällen, aber auch Krankentransporte zunehmen, ist also hoch.
KNA: Gibt es Zahlen?
Liefländer: Nach offiziellen Schätzungen wird das Aufkommen an Notarzt-Alarmierungen trotz zurückgehender Bevölkerungszahlen von derzeit rund 1,8 Millionen pro Jahr auf 2,11 Millionen 2050 steigen. Wir rechnen vor allem mit mehr Alarmierungen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Betroffen sind vor allem die über 70-Jährigen, die durch ihr Alter ganz spezielle Krankheitsbilder aufweisen.
KNA: Wie stellen sich die Malteser darauf ein?
Liefländer: Im Fall der Rettungsdienste hat der Staat, hier die Bundesländer, einen Sicherstellungsauftrag. Alle fünf Jahre müssen die Rettungsbedarfspläne an neue Entwicklungen angepasst werden. Da wird dann die Zahl der Rettungswachen festgelegt. Dann müssen die Kommunen das Rettungswesen in Eigenregie organisieren oder Organisationen wie die Malteser beauftragen.
Wir als Malteser sind auf eine Zunahme der Einsätze eingerichtet. Das bedeutet im Zweifel mehr Personal und Fahrzeuge sowie eine an die Krankheitsbilder angepasste Ausstattung und Ausbildung. Allerdings:
Schon heute gibt es auch im Bereich der Rettungssanitäter einen Personalmangel. Seit einem Jahr gibt es deshalb ein neues, attraktiveres Berufsbild: eine dreijährige Ausbildung zum Notallsanitäter, der gelernt hat, mehr medizinische Maßnahmen durchzuführen.
KNA: Bedeutet eine sinkende Arzt- oder Krankenhausdichte nicht auch, dass die Eintreffzeiten, also die Rettungsfristen, größer werden?
Liefländer: Das muss nicht sein. Die Bundesländer definieren, in welcher Zeit die Rettungsdienste vor Ort sein müssen; da gibt es sehr unterschiedliche Vorgaben und Definitionen, die man nur schwer miteinander vergleichen kann. Richtig ist aber, dass wir angesichts des demografischen Wandels neu darüber nachdenken müssen, wie wir die Vorgaben einhalten können.
KNA: Und das heißt konkret: mehr Rettungswachen und Rettungssanitäter?
Liefländer: Das ist - siehe Personalmangel - nur begrenzt machbar und finanzierbar. Dennoch müssen mehr Leute in die Rettungsdienste einbezogen werden. Dafür gibt es unterschiedliche Ansätze. Einer orientiert sich an Israel: Dort werden in einem Notfall per Smartphone und spezieller Ortungstechnik alle Ersthelfer alarmiert, die sich in der Nähe befinden. Das funktioniert dort sehr gut, weil fast alle Bürger in der Armee waren und eine qualifizierte Ersthelferausbildung haben. Außerdem ist jeder Israeli durch die zahlreiche Anschläge in der psychologischen Situation, schnelle Hilfe leisten zu wollen. Ich habe aber Zweifel, ob dieses System in Deutschland funktionieren würde. Bei uns erwartet man gerade vom Staat, dass er in solchen Notsituationen hilft; wenn das nicht funktioniert, würde das als Staatsversagen interpretiert.
KNA: Und was wäre die Alternative?
Liefländer: Es gibt den Vorschlag, auf bereits bestehendes Potenzial von ausgebildeten Ersthelfern zurückzugreifen. Also auf Feuerwehrleute, Polizisten oder das Personal von Krankentransportfahrten. Ein solches System gibt es in Bayern oder Niedersachsen bereits. Und auch anderswo wird darüber diskutiert, insbesondere in ländlichen Gebieten.
Das Interview führte Christoph Arens.