HIMMELKLAR: Wie ist es bei Ihnen? Wie ist die Lage?
Andreas Nolte (Mitglied der deutschen katholischen Gemeinde in Mailand): Die Lage hat sich ein bisschen verbessert. Seit Anfang der Woche können wir wieder mehr oder weniger vor das Haus gehen, wieder Sport treiben, mit Maske natürlich. Die Leute halten sich an die Vorschriften, das ist sehr positiv. Wahrscheinlich hat doch die Angst Vorsprung vor dem normalen Drang zur Freiheit, den wir in Italien haben.
HIMMELKLAR: Wie hat das alles angefangen? Was haben Sie da gedacht in den ersten Tagen?
Nolte: Das war natürlich ein absoluter Schock. Man wusste plötzlich nicht mehr, was man zu tun hat. Man hörte jeden Tag um 18 Uhr im Fernsehen die schrecklichen Zahlen von virusbefallenen Leuten, von Toten, 400, 500 Leute am Tag. Das war natürlich alles sehr sehr bestürzend, man hatte keinen Kontakt mehr zu den Freunden, man hatte keinen Kontakt mehr zur Gemeinde, man konnte nicht zur Kirche in die Messe gehen. Man hat Zuhause gebetet und gehofft, dass sich die Situation so schnell wie möglich verbessert, aber das hat leider sehr lange gedauert.
HIMMELKLAR: Wie hart waren die Einschränkungen?
Nolte: Wir durften uns nur im Umkreis von 200 Metern um die Wohnung bewegen. Wir durften natürlich mit dem Hund rausgehen, aber natürlich auch nur im Umkreis von 200 Metern, Sport war auch nur im Umkreis von 200 Metern möglich. Wir mussten von Anfang an in der Lombardei auch Gesichtsmasken tragen. Viel war nicht zu tun, man durfte mal Lebensmittel einkaufen, aber das war schon mehr oder weniger alles, was man tun durfte. Auch nur ganz gewisse Arten von Büros und Berufen waren erlaubt. Die anderen waren alle "locked down".
HIMMELKLAR: Wie gingen die Italiener damit um?
Nolte: Die Italiener haben sich sehr gut daran gehalten. Und das hat eine Vorgeschichte. Vor vielen Jahren wurde das Rauchen in Italien in öffentlichen Stätten, also in Restaurants und Bars usw., verboten. Und von einem Tag zum anderen haben sich mehr oder weniger alle daran gehalten. Das hat keiner geglaubt, selbst wir in Italien haben das nicht geglaubt. Aber in solchen Situationen, wenn wirklich Not am Mann ist, dann hält sich auch der Italiener an die Vorschriften.
HIMMELKLAR: Ist das eine Mentalitätsfrage, oder wie erklären Sie das? Sie leben seit 50 Jahren in diesem Land.
Nolte: Ich kann es mir nicht erklären, denn normalerweise hält sich der Italiener eher nicht so ganz an die Vorschriften. Er versucht immer so ein bisschen flexibel an den Vorschriften vorbeizukommen. Aber in gewissen Situationen, wenn man ihm klar erklärt, worum es geht und was die Sache ist, dann hält man sich auch daran.
HIMMELKLAR: Welches Bild hat Mailand in diesen Wochen abgegeben?
Nolte: Die Stadt war komplett tot. Sirenen von den Krankenwagen, wirklich eine nach der anderen. Ich wohne an einer Straße, die zu einem Krankenhaus führt, das war wirklich sehr bedrückend. Man schaute aus dem Fenster, man sah nichts, kein Auto, kein Motorrad, kein Fahrrad, nichts. Es war alles tot.
HIMMELKLAR: Das macht große Angst?
Nolte: Logisch, denn Sie müssen sich vorstellen, dass der Italiener dazu tendiert, rauszugehen, soziale Kontakte zu haben, sich im Offenen aufzuhalten. Und alles das war von einem Tag zum anderen verboten.
HIMMELKLAR: Wenn Sie mit Ihrer Familie in Deutschland sprechen, was würden Sie sagen, wie unterscheidet sich die Lage in den Ländern?
Nolte: Ich habe noch einen Cousin in Deutschland, er ist ein paar Jahre älter als ich und ihm habe ich gesagt: "Pass auf, das kommt bei Euch alles auch und ich kann Dich jetzt schon vorwarnen, so wie eine heftigere Grippe ist es nicht."
Ich habe ihm schon damals geraten, mit der Maske rauszugehen, so wenig wie möglich Kontakte mit anderen Leuten zu haben. Er hat sich auch daran gehalten und hat sich bei mir dann auch bedankt, dass ich ihm diese Ratschläge gegeben habe.
HIMMELKLAR: Lassen Sie uns mal aufs Gemeindeleben schauen. Sie haben gesagt, Beten und gottesdienstliches Leben ist im Grunde nur Zuhause möglich. Wie haben Sie das erlebt in den letzten Wochen?
Nolte: Das war relativ befremdlich alles. Aber wir haben in diesen Wochen und Monaten viele technische Hilfsmittel entdeckt, um wenigstens virtuell zusammenzusein. Der Gemeinderat trifft sich so mit den Seelsorgern, wir treffen uns jeden Sonntag um 15.30 Uhr und sind dann eine bis anderthalb Stunden zusammen, plaudern über die Situation, über das, was wir machen können, wann es wieder losgeht. Wir sind auf jeden Fall noch in Kontakt und zusammen.
HIMMELKLAR: Wie haben Sie das Osterfest erlebt?
Nolte: Via Zoom. Ich habe eine Tochter in München, die andere Tochter lebt in Rom. Wir haben ein virtuelles Meeting zusammen gemacht und haben zwei Stunden Ostern gefeiert vor dem Computer.
HIMMELKLAR: Die Kirchen bleiben in Italien erst einmal zu. Kommt da so langsam Unmut auf?
Nolte: Absolut, absolut. Auch die Bischofskonferenz in Italien fängt langsam an sich dagegen zu mokieren und zu sagen, das sei ja eigentlich gegen die Religionsfreiheit, was hier passiert. Wenn man die Distanz halte, dann sollte es doch auch möglich sein, in die Kirchen zu gehen und eine Messe zu feiern.
Man muss dazu sagen, die Kirchen sind offen. Man kann also in die Kirche gehen, aber alleine, es wird kein Gottesdienst gehalten, nur online. Gottesdienste, so wie wir sie normalerweise kennen, sind noch nicht erlaubt.
Durch die aktuellen Zahlen kommt jetzt aber wieder ein bisschen Optimismus auch in der Regierung auf. Anscheinend möchte man jetzt die Sachen doch ein bisschen lockern. Darunter sieht man dann auch die Möglichkeit, wieder eine Messe zu feiern, natürlich mit den Sicherheitsvorkehrungen, die wir brauchen. So wie in Deutschland.
HIMMELKLAR: Was bringt Ihnen Hoffnung im Moment in der Situation?
Nolte: Die Hoffnung schöpfe ich aus dem Gebet. Unser Herr gibt uns die Hoffnung. Die Hoffnung schöpfe ich aus den sozialen Kontakten, die ich im Moment mit meinen Kollegen habe.
Hoffnung bringt mir, einfach aus dem Fenster zu schauen und zu sehen, dass sich langsam die Straßen wieder füllen, dass die Leute hinter ihren Masken langsam wieder lächeln können. Und alles dies gibt einem Hoffnung. Natürlich gibt es Leute, die mehr oder weniger optimistisch sind. Ich tendiere immer dazu, das Gute und das Schöne im Leben zu sehen und zu sagen: Es gibt Schlimmeres, schauen wir nach vorne, es wird wieder besser.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.