DOMRADIO.DE: Herr Stoffel, was genau ist Altersarmut. Wie bemisst sie sich?
Markus Stoffel (Generalagenturleiter Bruderhilfe Pax Familienfürsorge): Das lässt sich nicht unbedingt in Zahlen definieren. Aber in der Regel wird von Altersarmut gesprochen, wenn Rentner ihre Kosten bzw. Ausgaben nicht mehr allein durch ihr Einkommen decken können. Private und gesetzliche Vorsorgeaufwendungen reichen dann nicht aus. Ein Großteil der Betroffenen ist deshalb auf zusätzliche Unterstützung durch soziale Einrichtungen angewiesen, im kirchlichen Bereich zum Beispiel auf caritative Initiativen in den Gemeinden, wozu auch die Tafel oder eine Kleiderkammer gehören können. Aber auch Geldzuwendungen sind hier bei besonderer Bedürftigkeit möglich, zum Beispiel bei der medizinischen Versorgung oder auch der Anschaffung von notwendigen Haushaltsgeräten.
Laut EU gilt als arm, wer maximal 40 Prozent des nationalen Medianeinkommens, also des Durchschnittseinkommens, hat – das waren 2017 rund 560 Euro – während die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Armutsdefinition 50 Prozent zugrunde legen. Armutsgefährdet ist nach diesen Bemessungen, wer über maximal 60 Prozent des nationalen Medianeinkommens verfügt. Das lag im Jahr 2017 in Deutschland für einen Singlehaushalt bei 1.400 Euro pro Monat. Dementsprechend liegt die Grenze für eine Armutsgefährdung bei 840 Euro. Oftmals wird in den Medien und der Politik auch dann von Armut gesprochen, wenn das monatliche Einkommen unter 900 Euro liegt. Aber wie gesagt, Zahlen allein markieren nicht unbedingt die Armutsgrenze.
DOMRADIO.DE: Welche Gründe führen denn zu einem mangelnden Auskommen im Alter und damit zu einer Verarmung?
Stoffel: Der Staat hat zurzeit ein riesiges Problem. Zwar liegt die Altersarmut im Vergleich zur Gesamtbevölkerung derzeit noch vergleichsweise niedrig. Doch wir haben es hier mit einem wachsenden Phänomen zu tun, das für nicht wenige Senioren dramatische Folgen haben wird. Denn die Zahl der armutsgefährdeten Senioren wird zunehmen. Das hat zum einen mit dem demografischen Wandel zu tun: Immer mehr ältere Menschen haben eine Anspruch auf Rente, aber dafür gibt es immer weniger Beitragszahler. Es ist also zu wenig Kapital im Umlauf. Und die Lebenserwartung des Einzelnen steigt dramatisch an. Das heißt, wer aktuell in die Rentenversicherung einzahlt, investiert nicht in sich selbst, sondern finanziert die derzeitigen Senioren. Wer in einigen Jahren schließlich selbst das Rentenalter erreicht, wird wiederum von den jüngeren Generationen finanziert. Doch die demografische Entwicklung in Deutschland sorgt dafür, dass immer weniger Erwerbstätige auf einen Rentner kommen. Laut EZB funktioniert das Umlageprinzip nicht mehr. Hinzu kommt, dass es derzeit nur wenige Arbeitnehmer schaffen, Geld zur Seite zu legen oder in die private Altersvorsorge zu investieren, was aber notwendig wäre.
Außerdem sinkt mit der sich ändernden Alterspyramide auch das Rentenniveau. Derzeitige Arbeitnehmer müssen 45 Jahre in die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt haben, um etwa die Hälfte ihres Nettogehalts als Rente beziehen zu können. In den kommenden Jahren soll die Mindestrente in Deutschland noch weiter sinken. Zusätzlich besteht das Problem eines historisch noch nie da gewesenen Niedrigzinses. Das alles sind in der Summe Altersarmut begünstigende Faktoren.
DOMRADIO.DE: Wen betrifft Altersarmut?
Stoffel: Vor allem Frauen. Um über die Runden kommen zu können, wird jede vierte Frau im Ruhestand jobben müssen. Zum einen verdienen Frauen bei gleicher Arbeit oft weniger als ihre männlichen Arbeitskollegen. Zum anderen haben sie durch Schwangerschaft und die spätere Kindererziehung Auszeiten genommen bzw. in Teilzeit-Jobs gearbeitet. Daher erhalten etliche Frauen häufig nur rund 60 Prozent der Rente der Männer. Sie haben mehr Fehlzeiten und dementsprechend auch weniger Entgeltpunkte erwerben können. Außerdem sind Menschen betroffen, die häufig arbeitslos sind oder Jobs mit niedrigem Einkommen ausüben. Auch das reduziert Rentenansprüche.
Gerade Niedriglöhne sorgen dafür, dass Altersarmut entsteht. Denn Geringverdiener können kaum in ihre gesetzliche, geschweige denn in ihre private Altersvorsorge einzahlen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Arbeitnehmer aufgrund von physischen oder psychischen Erkrankungen früher als geplant ihre Arbeit aufgeben müssen. Derzeit liegt das Armutsrisiko bei den 65-Jährigen und älteren bei 15,6 Prozent – das sind rund 2,6 Millionen Rentner. Etwa eine halbe Million der Rentner ist gezwungen, die Grundsicherung im Alter zu beziehen. Nur so können sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihre Existenz sichern. Hinzu kommt, dass im Juni 2014 918.000 Rentner geringfügig beschäftigt waren, also in Minijobs gearbeitet haben. Davon sind etwa 162.000 Senioren 75 Jahre und älter.
DOMRADIO.DE: Stichwort "Altersvorsorge": Was kann denn jemand tun, um für sich das Risiko der Altersverarmung zu verringern?
Stoffel: Junge Leute müssen viel stärker für das Thema Rente sensibilisiert werden und sollten sich nicht allein auf den Staat verlassen, sondern Selbstverantwortung übernehmen. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen, an später zu denken. Um nicht ausschließlich auf die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen zu sein, ist es ratsam, so früh wie möglich mit der privaten Altersvorsorge zu beginnen. 2015 lag die Quote derer, die in Deutschland eine private Altersvorsorge abgeschlossen haben, bei rund 16 Millionen. Das ist ein gutes Signal, wobei die unterschiedlichsten Varianten dafür genutzt werden: zum Beispiel die betriebliche Altersvorsorge, bei der ein Teil des Gehalts direkt in eine private Rentenversicherung fließt, die vom Arbeitgeber entweder intern oder extern in einer Direktversicherung angelegt wird. Was die wenigsten wissen: Darauf gibt es sogar einen Rechtsanspruch.
Dann ist eine Rentenversicherung sehr sinnvoll. Diese, verbunden mit Geldanlage in nachhaltigen Investmentfonds, kann äußerst effektiv sein. Sie gehört zu den beliebtesten Varianten der Altersvorsorge. Auch die Rürup-Rente als Basis-Rente ist ein denkbares Modell, bei dem frühestens ab dem 60. Lebensjahr das eingezahlte Geld in Form eines Rentenbeitrags monatlich ausgezahlt wird. Durch Steuerbegünstigungen wird diese Vorsorge staatlich gefördert – das ist vor allem für Selbstständige von Vorteil, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Und schließlich gibt es auch noch die Riester-Rente, die nutzen kann, wer rentenversicherungspflichtig ist und der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Geringverdiener sowie Familien werden hierbei besonders begünstigt; zudem kann die Versicherung steuerlich abgesetzt werden. Auch hier wird das eingezahlte Geld ab einem Alter von 60 Jahren als monatliche Rente ausgezahlt.
DOMRADIO.DE: Sprechen Sie denn Kunden gegenüber eine Empfehlung aus?
Stoffel: Für welche Form der Altersvorsorge Sie sich letztendlich entscheiden, hängt von Ihrer individuellen Situation sowie Ihren eigenen Wünschen ab. Dazu kann unter Umständen auch der Immobilienerwerb zählen. Hier muss man allerdings immer die Marktlage im Blick behalten und die Zinsen. Sonst endet das in einem Schattenboxen, und man hat am Ende einen massiven Verlust.
Wichtig ist jedoch, dass Sie in jedem Fall schon jetzt für das Alter vorsorgen, um Ihren Lebensunterhalt zu finanzieren und Ihren Lebensstandard halten zu können. Es ist ein großer Fehler, dieses existenzielle Thema auf die lange Bank zu schieben. Gerade Freiberufler haben keine Chance, wenn sie nicht von Anfang an mindestens zehn Prozent ihres Einkommens in die Altersvorsorge investieren. Sie muss frühzeitig in den Lebenswandel einkalkuliert werden.
DOMRADIO.DE: Ich vermute, die wenigsten kennen sich bei diesem Thema aus und neigen eher dazu, das Thema "Rente" zu verdrängen…
Stoffel: Das genau aber ist fatal. Daher bieten wir auch immer wieder Informationsveranstaltungen an. Meiner Beobachtung nach interessiert sich die Gruppe der Ü40 am meisten für dieses Thema. Dabei müsste das noch sehr viel früher beginnen, eigentlich bei der ersten Berufstätigkeit. Jeder ist in unserem Land zur Krankenversicherung verpflichtet. Für die Rente gilt das leider nicht. Dabei müsste sich daran politisch unbedingt etwas ändern. Der berühmte Satz von Norbert Blüm "Die Rente ist sicher" gilt so heute jedenfalls auf keinen Fall mehr.
DOMRADIO.DE: Was passiert mit denen, die heute "rentennah" sind, wie es politisch korrekt heißt, und nicht genug zum Leben haben?
Stoffel: Grundsätzlich muss das die Politik lösen. Eine Möglichkeit, sich vor der Altersarmut zu schützen, ist die Grundsicherung, die Menschen im Rentenalter unterstützen soll, deren Einkommen nicht mehr zur Finanzierung des Lebensunterhalts ausreicht. Eine Grundsicherung erreicht, wer zwischen 65 und 67 Jahren alt ist, im Rentenalter aus seinem Beruf ausscheidet, in der Regel keine Arbeit mehr durchführen kann und sein Einkommen auch nicht durch einen Arbeitslohn – wie beim Minijob – aufstocken kann. Liegt der Bedarf nun höher als das eigene Einkommen, greift die Grundsicherung. Diese zahlt die Differenz, die nötig ist, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. So können die Betroffenen die Miete zahlen sowie Lebensmittel, Kleidung und Hygieneartikel kaufen.
Verfügen die betroffenen Personen über Erspartes bzw. Luxusgüter, die veräußert werden können, zählt dies zum Einkommen dazu. Erst dann, wenn kein zusätzliches Vermögen mehr vorhanden ist, kann die Grundsicherung beantragt werden. Übersteigt das Vermögen eines der Kinder jährlich 100.000 Euro, ist es dazu verpflichtet, den Betroffenen zu unterstützen. Dies gilt auch andersherum: Übersteigt das Gesamtvermögen beider Elternteile 100.000 Euro pro Jahr, müssen sie für den Unterhalt des Kindes aufkommen. In diesem Fall erhält der Betroffene keine Grundsicherung.
Nach Angaben des statistischen Bundesamts haben im Jahr 2017 insgesamt über eine halbe Million Rentner die Grundsicherung im Alter bezogen, wobei der Anteil der Frauen bei 61 Prozent lag. Trotzdem muss man menes Erachtens auch darauf schauen, dass es gerecht zugeht – beispielsweise im Verhältnis zu Hartz IV-Empfängern. Man muss bewerten, wie lange jemand gearbeitet hat und mit welcher Qualität.
DOMRADIO.DE: Kann es sein, dass das Ganze erst die Spitze des Einsbergs ist?
Stoffel: In der Tat kommen die geburtenstarken Jahrgänge erst noch. Das bedeutet, die Belastung für unser Finanzsystem wird noch weitaus größer. Schon jetzt haben wir ein Ungleichgewicht zwischen Einkünften und Lebenshaltungskosten. Für Miete gaben die Deutschen bislang 25 bis 30 Prozent ihres Einkommens aus. Mittlerweile liegt das bei 50 Prozent und mehr. Auch die Energie ist teurer geworden; die Menschen sind mobiler als früher. Das kostet. Und die ältere Generation hat kaum die Möglichkeit, von sich aus ihre finanzielle Situation zu verändern. Wer in der Pflege gearbeitet hat, kann – bei guter Gesundheit – auch als Rentner noch einen Minijob in der Pflege annehmen und damit seine Rente aufbessern.
Was sozial bisher noch als Hausbrand durchgegangen ist, wird sich dauerhaft aber als Flächenbrand zeigen. Bislang konnte der Staat das Rententhema noch mit einer guten Konjunkturlage auffangen. Doch früher oder später führt diese Entwicklung in eine soziale Katastrophe. Daher: Wir brauchen dringend Arbeitskräfte von außen. Zum Beispiel könnten dabei einen wichtigen Part die Flüchtlinge übernehmen. Wir haben in vielen Bereichen – vor allem im Handwerk und in der Pflege – einen hohen Fachkräftemangel. Die Menschen, die 2015 zu uns gekommen sind, viele Kinder mitbringen und zum Teil gut qualifiziert sind, müssten hier eingebunden werden. Das könnte für beide Seiten eine große Chance sein und für den Arbeitsmarktprozess sehr wichtig. Wir müssen lernen, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und uns nicht von Vorurteilen leiten zu lassen.
DOMRADIO.DE: Trotzdem bleiben ja noch genug Koordinaten, die sich nicht so ohne Weiteres verändern lassen…
Stoffel: Das ist richtig. Die Altersarmut wird zunehmen, und damit wächst der Anspruch auf Grundsicherung. Auch weil die Preise steigen und die Renten sinken. Zudem sorgt die Entwicklung am Arbeitsmarkt dafür, dass die Generation 65plus immer ärmer wird. Besonders Langzeitarbeitslose, Teilzeitkräfte, Minijobber und Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen haben keine Möglichkeit, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Denn oftmals reicht das Geld nicht einmal aus, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Dadurch werden die Rentenkassen leerer.
Tragisch ist außerdem: Wer als Rentner erst einmal unter der Armutsgrenze liegt, wird daran in den folgenden Jahren nichts mehr ändern können. Denn ihm fehlt die Möglichkeit, durch Arbeit ein höheres Einkommen zu erwirtschaften. Experten gehen davon aus, dass Menschen, die 2030 ins Rentenalter eintreten, nur noch 43 Prozent ihres Nettoeinkommens als Rentenanspruch erhalten. Wer also in den vorausgegangenen Jahren ein monatliches Durchschnittseinkommen von etwa 1.500 Euro erzielt hat, erhält im Alter eine Rente von nur 750 Euro. Das ist vor allem für Menschen in Großstädten verhängnisvoll. Schon jetzt gibt es ja die Bilder von Menschen, die in öffentlichen Mülleimern nach Pfandflaschen suchen…
DOMRADIO.DE: Ihre Agentur nennt sich "Versicherer im Raum der Kirchen". Bekannter ist sie unter dem Namen "Bruderhilfe Pax Familienfürsorge". Sie sind Experte bei Fragen der Vorsorge und Absicherung, agieren aber vor allem nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit…
Stoffel: Das ist unser Markenzeichen. Als erster Versicherer auf dem Versicherungsmarkt haben wir uns strengen Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet. Auf Basis der Handreichungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) wurden Kriterien für die Kapitalanlage festgelegt. Dieser Nachhaltigkeitsfilter berücksichtigt ethische, soziale und ökologische Aspekte und wurde in Zusammenarbeit mit der Bank für Kirche und Caritas eG erstellt. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Als kirchlicher Versicherer ist es für uns selbstverständlich, die uns anvertrauten Gelder auf Basis einer christlichen Werteorientierung anzulegen. Das heißt, wir investieren nicht in Unternehmen, die gegen ausbeuterische Kinderarbeit verstoßen oder Streumunition, Antipersonenminen und Nuklearwaffen herstellen. Und wir investieren nicht in Staaten, die gegen Menschenrechtsbestimmungen verstoßen, in denen es die Todesstrafe gibt oder die das Recht auf freie Religionsausübung verweigern.
Ich leite nun seit 20 Jahren diese Generalagentur. In dieser Zeit haben wir immer auch soziale Projekte unterstützt, denn die soziale Komponente spielt für uns eine entscheidende Rolle. Daher sind wir auch anders aufgestellt als übliche Versicherungen. Viele Menschen vertrauen uns und unserer ideologischen Ausrichtung. Ich denke, weil unser Konzept einfach überzeugt.
DOMRADIO.DE: Altersarmut ist eines Ihrer Kernthemen. Wie können sich jüngere Generationen denn vor Altersarmut schützen?
Stoffel: Unsere Regierung arbeitet seit mehreren Jahren daran, die Altersarmut zu senken. Es wurden der Mindestlohn eingeführt, die Rente ab 63, 64 Jahren und die Mütterrente. Trotzdem wird das nicht ausreichen. Ich kann junge Menschen nur davor warnen, sich – was ihre Altersvorsorge angeht – allein auf den Staat zu verlassen. Jeder muss sich schon heute dringend mit dem Thema Rente befassen, sich gut informieren und aus der Angebotspalette das für ihn passende Vorsorgemodell auswählen. Das ist ganz eindeutig mein Rat an die jüngeren Generationen. Dass es darüber hinaus auch noch solche charmanten Modelle wie eine Rentner-WG, ein Mehrgenerationenhaus und Kreise für alte Menschen gibt, in denen sie sich gegenseitig mit ihren Fähigkeiten helfen, ist davon ja unbenommen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti (DR)