DOMRADIO.DE: Wie religiös war Tolkien denn?
Thomas Fornet-Ponse (Professor für Fundamentaltheologie, Mitglied der deutschen Tolkien Gesellschaft): Man kann durchaus sagen, dass Tolkien ein sehr religiöser Mensch gewesen war. Das zeigt sich in seinem Leben auch darin, dass er sehr regelmäßig die Messe besucht hat. Er hat auch immer Wert darauf gelegt, im anglikanischen England katholisch zu sein. Als seine Mutter frühzeitig gestorben war, wurde ein Oratorianer-Priester sein Vormund. Also man sieht, dass es eine klare katholische Erziehung gab. In Briefen, die er insbesondere seinen Kindern, aber auch anderen Menschen geschrieben hat, spielt auch immer wieder das Thema Religiosität, theologische und philosophische Fragestellungen eine Rolle.
DOMRADIO.DE: Können Sie Tolkiens theologische Überzeugungen auf den Punkt bringen?
Fornet-Ponse: Das ist gar nicht so einfach. Aber in den vergangenen zehn Jahren der Tolkien-Forschung, gab es einen stärkeren Fokus darauf, ihn vor dem Hintergrund der Theologie des Thomas von Aquin zu lesen. Das scheint ein sehr vielversprechender Ansatz zu sein. Denn viele Punkte, die Tolkien an theologischen und philosophischen Überzeugungen hat, die gerade in seinen späteren Werken immer wichtiger werden, scheinen doch sehr stark von eben dieser thomistischen, thomanischen Perspektive geprägt zu sein.
So setzt er sich mit Fragen des Verhältnisses von Leib und Seele auseinander und lehnt sich dabei sehr stark an Aristoteles an. Außerdem betont er immer wieder die Souveränität des einen Schöpfergottes. So schlägt sich dort sein schöpfungstheologischer Ansatz nieder, der im Grunde genommen mit dem Fokus auf die Theologie des Thomas von Aquin einhergeht. Man kann Tolkien so als einen sehr traditionellen Katholiken verstehen.
DOMRADIO.DE: Welche christlichen Werte erkennen Sie denn in seinen Werken?
Fornet-Ponse: Die lassen sich zum Beispiel anhand der Figur des Gandalf oder des Frodo zeigen, bei denen starke Motive der Hingabe eine Rolle spielen. Außerdem die Frage der Macht. Bei Tolkien kommt diese durch Überzeugungen, durch Dienst, und nicht so sehr durch großes Herrscherauftreten oder Unterdrückung. Bei Tolkien ist es vor allem diese Macht des Kleinen, was sich auch darin zeigt, dass die Hauptfiguren ein eher unbedeutendes Volk sind, die Hobbits, die auch gar nicht als starke Figuren auftreten, aber diesen Dienstgedanken haben. Das ist ein sehr zentraler Gedanke, der bei Tolkien eine Rolle spielt.
DOMRADIO.DE: Der Herr der Ringe wird von vielen Fans als Schöpfungsmythos gelesen. Stimmen Sie dem zu?
Fornet-Ponse: Beim Herr der Ringe würde ich da nicht unbedingt zustimmen. Gerade mit Blick auf Tolkiens Gesamtwerk - viele Werke sind erst nach seinem Tod publiziert worden – gibt es eine ganze Reihe an Schriften, die sich speziell mit schöpfungstheologischen Fragen auseinandersetzen. Einen Schöpfungsmythos sehe ich eher in einem anderen Buch von Tolkien, dem Silmarillion.
Da gibt es einen Text, der genau einen solchen Schöpfungsmythos in Gestalt einer musikalischen Allegorie zeigt. In diesen Text - und da komme ich wieder auf Thomas von Aquin zu sprechen – hat Tolkien viele traditionelle Themen aufgenommen, die Thomas von Aquin auch in seiner Schöpfungtheologie präsentiert. Zum Beispiel die Exsistenz von Engelswesen, die klassisch an die katholische Angelologie angelegt sind. Da merkt man, wie stark Tolkien von einer traditionellen katholischen Theologie geprägt war.
DOMRADIO.DE: Gibt es bei Tolkien auch so was wie eine frohe Botschaft?
Fornet-Ponse: Ja, das lässt sich ganz gut mit einem Begriff ausdrücken, den Tolkien selbst in den Diskurs eingebracht hat, der Begriff der Eukatastrophe, der guten Wendung. Die Eukatastrophe stammt aus einem Text Tolkiens, in dem er theoretische Überlegungen über Märchen angefertigt hat. Mit dem Wort wollte Tolkien ausdrücken, dass es eine plötzliche glückliche Wendung gibt.
So eine Wendung lässt sich zum Beispiel am Ende des Herrn der Ringe sehen, als Frodo im Schicksalsberg steht um den einen Ring zu vernichten. Es aber offensichtlich nicht schafft. Doch durch einen glücklichen Zufall oder durch das Eingreifen des Schöpfergottes - so würde Tolkien es selbst interpretieren - wird der Ring doch noch vernichtet. Also der Schöpfergott greift manchmal durch eingreifen und manchmal durch nicht eingreifen ein, je nachdem welche Perspektive sie wählen. Die Frohe Botschaft, die positive Nachricht wäre dann, dass trotz größter Widerstände dieser Sieg über das Böse möglich ist und es zu einer Wiederherstellung der guten Welt führen kann.
DOMRADIO.DE: Sie selbst sind Fundamentaltheologe. Was fasziniert Sie persönlich an dieser Fantasy-Literatur, besonders aus christlicher Sicht?
Fornet-Ponse: Bei Fantasy-Literatur allgemein und insbesondere bei den Werke von Tolkien ist der Weltbildungs-Aspekt ein sehr spannender. Tolkien hat das wirklich par excellence gezeigt. Eine Welt erschaffen, eine Welt gebildet, die nicht durch explizite religiöse Bezüge ausfällt, aber in einer inneren Konsistenz wahnsinnig viele Themen vereint, so dass sich viele Leser und Leserinnen dort mit ihren Fragestellungen wiederfinden können. Es ist sozusagen ein offenes Werk, dass keine eindeutige Lektüre vorgibt, aber die Phantasie der Lesenden anregt und auf diese Weise auch zur theologischen Beschäftigung anregt. Solche Werke können durchaus als Ausdruck dessen verstanden werden, was Menschen heutzutage bewegt.
In Anlehnung an Gaudium et Spes des zweiten Vatikanischen Konzils, können Theologen und vielleicht gerade auch Fundamentaltheologen gefragt sein sich mit solchen Werken auseinanderzusetzen und zu fragen: Was bewegt Menschen, die sich ein solch faszinierendes Werk zur Aufgabe machen, indem sie es lesen, sich damit beschäftigen, sich davon inspirieren lassen alles Mögliche zu machen?
Das Interview führte Hilde Regeniter.