Maronitischer Patriarch Sfeir mit 90 Jahren zurückgetreten

Eine große Kirchengestalt

Im Nahen Osten tritt eine der großen Kirchengestalten ab. Ein Vierteljahrhundert lang war Nasrallah Sfeir Patriarch der Maroniten und leitete die mit drei Millionen Mitgliedern größte katholischen Gemeinschaft der Region. Als Oberhaupt der staatstragenden Konfession im Libanon war er nicht nur Religionsführer, sondern auch höchste nationale Autorität.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Vor allem im "Bürgerkrieg" der Jahre 1975 bis 1991 wurde Sfeir zur geachteten Persönlichkeit über die Grenzen von Religions-, Partei- und Volkszugehörigkeit hinweg. Am Samstag nahm Papst Benedikt XVI. das Rücktrittsgesuch des 90-Jährigen an.



Mitten im Krieg mit seinen unklaren, oft wechselnden Fronten trat Sfeir 1986 sein Amt an. Die Kämpfe mit 170.000 Toten und mehr als einer Million Verletzten trafen den Lebensnerv der Christen im Zedernstaat. Da kämpften nicht nur Christen gegen Muslime, Libanesen gegen Palästinenser, Sunniten gegen Schiiten und beide gemeinsam gegen Maroniten - wobei sich Syrien und Israel je nach Interesse einschalteten. Da ging es auch um ein Modell: das viele Jahre erfolgreiche Neben- und Miteinander von Christen und Muslimen in einem Staat des Nahen Ostens. In einem Land der arabischen Welt, in dem die Christen einst die Mehrheit bildeten. In dem der "Nationalpakt" von 1943 den Maroniten bis heute das Amt des Staatspräsidenten zuweist - auch wenn sich die Bevölkerungszahlen mittlerweile zugunsten der Muslime verschoben haben.



Verteidiger der Belange der Christen

Als langjähriger Sekretär seines Vorvorgängers und dann als Patriarchalvikar war Sfeir auf sein Amt im Patriarchat von Bkerke hoch über Beirut gut vorbereitet. Sein Anliegen war, die Belange der Christen zu verteidigen und den Libanon weiterhin als Modell einer christlich-islamischen Kooperation zu bewahren. Daher stand das multireligiöse Land über viele Jahre ganz oben auf der Prioritätenliste der vatikanischen Diplomatie. Zu keinem außenpolitischen Thema äußerten sich die Päpste - trotz Kalten Kriegs und manchen Stellvertreterkriegen - so häufig wie zum Libanon. Und über weite Etappen war der Vatikan die einzige Macht, die der Weltöffentlichkeit den vergessenen Konflikt in der einstigen "Schweiz des Nahen Ostens" ans Gewissen legte.



Sfeir war in den Kriegsjahren wichtigster Mittelsmann der Vatikandiplomatie und zugleich Bezugsperson seiner Landsleute. Immer wieder versuchte er, das Blutvergießen zu beenden und die Existenz der Christen zu sichern, indem er eine gerechte Lösung für die

Religions- und Volksgruppen verlangte. Er wurde zu einem Wächter des Nationalpaktes in Zeiten, als die im "Schwarzen September" 1970 aus Jordanien vertriebenen Palästinenser versuchten, im schwachen Libanon ihren "Staat im Staat" zu etablieren.



Aus den Schlagzeilen verschwunden

Auch nach dem Krieg versuchten Kirche und Vatikan die Neugestaltung des Libanon zu begleiten. 1992 berief der Papst eine Sonderbischofssynode für den Libanon ein, die 1995 tagte und bei der Sfeir als Präsident agierte. Höhepunkt und Abschluss war eine Papstreise in den Nahost-Staat. Vor der rauchgeschwärzten Trümmerkulisse Beiruts beschwor Johannes Paul II. - von Christen wie von Muslimen bejubelt - die Zusammenarbeit aller Libanesen über

Religions- und Parteigrenzen hinweg.



Danach wurde es ruhiger um den Libanon und auch um den Patriarchen. Im Zuge der beiden Irak-Kriege wie auch der palästinensischen Intifada verschwand das Land immer mehr aus den Schlagzeilen. Auch für die Weltkirche standen die Christen im Heiligen Land, in der Türkei und seit 2003 im Irak mehr im Vordergrund als die Libanesen.

Das zeigte sich auch bei der Nahost-Synode im Herbst 2010, bei der Sfeir den Ehrenvorsitz führte.



In seinen letzten Dienstjahren wurde auch manche Kritik am Patriarchen laut. Nicht all seine Optionen und Äußerungen wurden in Kirchenkreisen als glücklich empfunden. Nach seinem Rücktritt muss die maronitische Synode nun einen Nachfolger wählen. Unter anderen fallen die Namen der Bischöfe Bechara Rai (71) von Byblos und Paul Youssef Matar (70) von Beirut. Zu den ersten großen Aufgaben des neuen Patriarchen dürfte auch wieder die Planung einer Papstreise gehören. Denn - soweit es die Umstände erlauben - dürfte Benedikt XVI. das Schlussdokument der Nahost-Synode 2012 bei einer Reise in den Libanon publizieren.