"Ich fühle mich seit Jahren freier zu sagen, was ich denke, und will die kirchliche Lehre weiterbringen."
Vor zwei Wochen hatte sich Marx beim Jubiläum zum 20-jährigen Bestehen von katholischen Queer-Gottesdiensten in München für die Diskriminierung Homosexueller durch die Kirche entschuldigt. Dem "Stern" sagte er jetzt, noch vor zehn Jahren habe er sich nicht vorstellen können, selbst einen solchen Gottesdienst zu feiern. In dem Gottesdienst warb der Kardinal für eine "inklusive Kirche".
Homosexualität nicht als Sünde betrachten
Im Interview sprach er sich für eine "inklusive Ethik" aus.
"Homosexualität ist keine Sünde. Es entspricht einer christlichen Haltung, wenn zwei Menschen, egal welchen Geschlechts, füreinander einstehen, in Freude und Trauer." Es gehe um Begegnung auf Augenhöhe und Respekt voreinander. Der Wert der Liebe zeige sich auch darin, "den anderen nicht zum Objekt zu machen, ihn nicht zu gebrauchen oder zu erniedrigen".
Marx sagte, "LGBTQ+-Menschen sind Teil der Schöpfung und von Gott geliebt, und wir sind gefordert, uns gegen Diskriminierung zu stellen". Und: "Wer Homosexuellen und überhaupt mit der Hölle droht, der hat nichts verstanden."
Ein langer Prozess
Der Kardinal erinnerte daran, dass diese Fragen bereits vor sechs Jahren bei der Familiensynode in Rom diskutiert worden seien, "aber es gab Hemmungen, etwas festzuschreiben".
Schon damals habe er gesagt: "Da leben Menschen in einer innigen Liebesbeziehung, die auch eine sexuelle Ausdrucksform hat. Und wir wollen sagen, die sei nichts wert? Klar, es gibt Leute, die Sexualität auf Fortpflanzung beschränkt sehen wollen, aber was sagen die zu Menschen, die keine Kinder bekommen können?"
Segnung gleichgeschlechtlicher Paare
Der Erzbischof bekannte, er habe auch schon gleichgeschlechtliche Paare gesegnet: "Vor einigen Jahren in Los Angeles kamen nach einem Gottesdienst, bei dem ich über Einheit und Vielfalt gepredigt hatte, zwei, die mich treffen wollten und um meinen Segen baten. Das habe ich gemacht. Das war ja keine Trauung. Das Sakrament der Ehe können wir nicht anbieten."
Zugleich deutete Marx an, dass es nicht so einfach werde, zu dem strittigen Thema einen Konsens in der Kirche herzustellen. "In Afrika oder in den orthodoxen Kirchen gibt es zum Teil ganz andere Auffassungen. Es bringt den Menschen nichts, wenn wir uns an dieser Frage spalten, aber wir dürfen auch nicht stehen bleiben."