Nach den Worten des Münchner Kardinals Reinhard Marx braucht es den Mut von Kirche, Gesellschaft und Politik für ein neues, kreatives Miteinander. Niemand habe eine Garantie dafür, dass die Demokratie Bestand habe, Gleiches gelte für die Kirche, sagte Marx am Dienstagabend in München beim Jahresempfang der Erzdiözese München und Freising. Die Herausforderungen seien groß angesichts der Klimafrage, von Kriegen und der Digitalisierung. Der Einladung zu dem Treffen waren rund 600 Vertreterinnen und Vertreter aus Kirche, Gesellschaft und Politik gefolgt.
Auch wenn die Mitgliederzahlen in der Kirche zurückgingen, müssten die Christen sich einbringen, forderte der Kardinal. Selbst jene, die ausgetreten seien, wollten letztlich auf die kirchliche Stimme nicht verzichten, wie immer wieder deutlich werde. Deshalb gelte: "Wir müssen uns anstrengen. Wir müssen der Überzeugung sein, dass wir etwas zu sagen haben." Eine kreative Minderheit habe klarzumachen, dass das Evangelium jedem Denken standhalte. Nicht für die Erhaltung dessen, was gewesen sei, gelte es, sich einzusetzen. Vielmehr müsse gemeinsam überlegt werden, was möglich sei.
Christentum als Religion der Zukunft
In diesem Zusammenhang erinnerte Marx an die Gründung des Bistums durch den heiligen Korbinian vor 1.300 Jahren. Das Christentum habe sich damals nicht ausgebreitet, weil es von oben befohlen worden sei.
Vielmehr hätten viele den Eindruck gehabt, dass es ein Fortschritt sei und die Religion der Zukunft. Dies müsse heute wieder deutlich werden - oder wie es der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel formuliert habe: "Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit."
Natürlich sei die Geschichte der Kirche nicht nur eine von Siegern und Heiligen, sondern auch eine von Fehlern und Sünden, räumte der Kardinal ein. Dabei ging er auf das Thema Missbrauch und die Frage der Aufarbeitung ein. Die Anstrengungen im Erzbistum seien "wirklich gut", auch wenn sie immer noch besser sein könnten.
Zugleich verwahrte sich Marx gegen oberflächliche Kirchenkritik, wenn es um die jährlichen, historisch gewachsenen Staatsleistungen von 72 Millionen Euro für die Kirche in Bayern gehe. Man sei offen für alle Fragen, aber diese Leistungen würden durch ein Vielfaches übertroffen von den Kirchensteuermitteln der Mitglieder. Mit deren Geld finanziere die Erzdiözese unter anderem Kultur- und Sozialeinrichtungen sowie Dienstleistungen, die allen Menschen, nicht nur Katholiken, zur Verfügung stünden - wie etwa das neue Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg und das demnächst öffnende Zentrum für Trauerpastoral in München.
"Wache Christen" nötig
Der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Florian Herrmann (CSU), betonte in seinem Grußwort, es brauche heute die katholische Kirche und "wache Christen" mehr denn je. Denn es gehe um die Durchdringung der Gesellschaft mit den Werten des Evangeliums.
Die zunehmende Säkularisierung sei in erster Linie eine Gefahr für die Demokratie, so Herrmann. Wenn Christen sich nicht zu Wort meldeten, füllten Ideologen die Lücken, im schlimmsten Fall solche von den Rändern. Christsein heiße deshalb, sich einzumischen und politisch zu sein.
Der Vorsitzende des Diözesanrats, Armin Schalk, rief Christinnen und Christen auf, sich klar zum Glauben zu bekennen. Im Sinne des Evangeliums gelte es einzustehen für den Nächsten und sich gestaltend in Kirche und Gesellschaft einzubringen. Christen dürften die Hoffnung nicht verlieren, "dass das Evangelium auch in unserer Zeit etwas zu sagen hat und Quelle der Zuversicht ist".
Die Präambel des Grundgesetzes sollte dabei als Mahnung und Ermutigung verstanden werden, nicht zu schweigen, wo sich die Schatten vergangen geglaubter Schrecken wie menschenverachtender Rassismus wieder erhöben oder ungeborenes Leben bedroht sei.
Katholiken müssten sich aber auch Kritik zu Herzen nehmen, dass ihr Einsatz für Demokratie im Gegensatz zur Struktur ihrer Kirche stehe, so der Diözesanratsvorsitzende. Am Thema Gewaltenteilung müsse weiter gearbeitet werden.