Ridley Scott wird beim Filmfestival in Venedig geehrt

Maschinen, Menschen, Götter

Am Lido erhält Filmemacher Ridley Scott einen Preis für sein Lebenswerk, sein aktueller Film "The Last Duel" feiert Weltpremiere. Er schließt den Kreis zum Debütfilm "The Duellists", mit dem die steile Karriere 1977 begann.

Autor/in:
Lucas Barwenczik
Alte Filmrollen und Filmklappen / © Jag_cz (shutterstock)
Alte Filmrollen und Filmklappen / © Jag_cz ( shutterstock )

Das Leben von Sir Ridley Scott zerfällt in zwei ungefähr gleich große Hälften: eine vor und eine mit dem Kino. Der britische Regisseur kam vergleichsweise spät zu seiner Berufung, sein Debütfilm "The Duellists" erschien erst 1977. Da war er 40 und hatte eine erfolgreiche Karriere als Grafiker, Setdesigner, vor allem aber als Fernseh- und Werbefilmer hinter sich.

Doch auch wenn er schon zahllose Bilder und Welten geschaffen hatte, schien für seine Art von Kino eine Mindestgröße zu gelten: Wäre Scott nicht Filmemacher geworden, er hätte wohl Monumente aus Marmor errichtet. Die Filme des 2003 zum Ritter Geschlagenen streben nicht nur immerzu einer glatten, makellosen Perfektion entgegen, sondern auch einer überlebensgroßen Beständigkeit. Sie sind meist weitreichend und lang, als wären sie allein dadurch schon gewichtig.

In jedem Genre zu Hause

Scott fühlt sich in jedem Genre zu Hause, von Science-Fiction und Fantasy über Kriminalfilme und Thriller bis zu Tragikomödien und Dramen. Seit 40 Jahren dreht er große Unterhaltungsfilme. Auch wenn einige finanzielle und Kritiker-Flops darunter waren, sind ihm die Kinogänger treu geblieben.

Dabei dreht er nicht unbedingt typische Publikumslieblinge. Die Herzlichkeit oder Sentimentalität von Kollegen wie Steven Spielberg fehlt ihm, auch sind seine Filme selten rasant und geradlinig, breiten sich zumeist eher in verschiedene Richtungen aus.

Scotts Filme neigen dazu, kalt und distanziert zu sein. Nicht gänzlich humorlos, aber mit ernsthaftem Grundton. Sie sind beherrscht. Eher technisch als menschlich. Schon sein erster 16mm-Kurzfilm, "Boy and Bicycle" (1965) lässt Wassertürme und Hochöfen Nordenglands über seiner Hauptfigur türmen.

Ridley Scott / © Jaguar PS (shutterstock)

Eine gewisse Dominanz von Ausstattung, Landschaft und Architektur über ihre Bewohner ist immer geblieben. Man erkennt einen Scott-Film an bestimmten Kamerabewegungen: das bedächtige, mechanisch strenge Erkunden und Abtasten eines unbekannten Ortes, ein langsames Gleiten durch Raumschiffe, Wohnungen und Tempel, die allein durch ihre Einrichtung erklärt werden. Filme wie "Gladiator" (2000) waren technische Meilensteine, die die Darstellung antiker Städte und Monumente auf ein vorher ungekanntes Level hoben.

Als kalt und post-human gelten Scotts Filme wohl auch, weil sie oft Figuren in den Mittelpunkt rücken, die menschliche Gefühle kaum verstehen. Bevölkert sind sie von Androiden, die unerkannt unter den Menschen leben, etwa Ash aus "Alien" (1979) oder David aus "Prometheus" (2012). Rick Deckard aus "Blade Runner" (1982) weiß nicht einmal, dass er anders ist, spürt es höchstens sachte am Rand seiner Wahrnehmung.

Doch auch die menschlichen Helden stehen abseits der Masse, sind von Gesellschaften und Zuständen frustriert. Den Konflikt zwischen Individuum und Masse verhandelt Scott in vielen Filmen; die Autoritäten sind in der Regel unfähig oder leicht korrumpierbar, sie müssen scheitern, um Raum für Heldentum zu schaffen. In den gewaltigen Schlachten - von "Königreich der Himmel" 2005 bis "Exodus: Götter und Könige" 2014 - entscheidet immer das Wirken Einzelner.

Oft sind es romantische Helden, getrieben vom Wunsch, allein durch die eigene Kraft die Welt neu zu machen. Der römische Feldherr Maximus aus "Gladiator" (2000), "Robin Hood" (2010), "Thelma& Louise" (1991), auch seine Version von Hannibal Lecter ("Hannibal", 2000) oder die namenlose Heldin seines bekanntesten Werbespots "1984" - sie kämpfen (fast) allein gegen alle.

Diese Helden streben danach, Götter zu sein. Fast biblisch muten ihre Versuche an, die Natur zu unterwerfen - etwa das unerschlossene Amerika ("1492 - Die Eroberung des Paradieses" 1992) oder die menschenfeindliche Mars-Oberfläche ("Der Marsianer" 2015).

Menschen, Schöpfung, Vermächtnis

In Scotts Spätwerk treffen oft alte auf neue Götter. Die immer schon präsenten Themen - Ursprung des Menschen, Schöpfung, Vermächtnis - werden von Subtext zu Text. Filme wie "Prometheus", "Exodus: Götter und König" und "Alien: Covenant" tragen offen Spirituelles in sich.

Laut Bibel hat Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, bei Scott ist es andersherum: Seine Götterfiguren gleichen ihm, blicken auf die Filmwelten wie ein Regisseur. Schon in "Exodus" kam es zu einem Zwiegespräch zwischen Gott und Mensch - nur dass Gott dort als Kind auftrat. Seit der Ermordung von Replikanten-Erfinder Tyrell in "Blade Runner" richten sich bei Scott Geschöpfe gegen ihren Schöpfer.

Es ist kein Zufall, dass er in den letzten Jahren gerade in die Universen zurückgekehrt ist, die sich verselbstständigt hatten, denen ein eigenes Leben abseits der Wirkungsmacht ihres Erfinders vergönnt war. Diese Filme stellen letztlich auch eine Art Selbsterforschung

da: Wieso sind gerade "Alien" und "Blade Runner" seine bekanntesten, beliebtesten und sicher auch wichtigsten Projekte geworden?

Tatsächlich: Auch in diesen kolossalen, auf den ersten Blick sehr unpersönlichen Film-Monumenten begegnet man ihrem Schöpfer. Ein gutes Beispiel ist die Bibel-Adaption "Exodus: Götter und Könige", die man allzu leicht für eine reine Materialschlacht in der Tradition von Cecil B. DeMille halten könnte. Erst, wenn man im Abspann Scotts Widmung an seinen Bruder liest (der Suizid beging), erkennt man, was ihn an der Geschichte reizte: das Duell eines ungleichen Brüderpaars, das vieles eint und noch mehr trennt.

Scotts Filme erzählen immerzu von der Menschen-Schöpfung und -Werdung. Hinter unpersönlichen Fassaden verbergen sich die doch individuellen Schöpfungen eines Filmemachers. Sie erzählen von der Kraft der Fiktion, das Unbelebte zu animieren.

Nicht umsonst ist die bekannteste Szene aus "Blade Runner" die wohl berühmteste aus Scotts Filmen: das verzweifelte letzte Testament eines sterbenden Replikanten. "Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet", verkündet Roy Batty (Rutger Hauer), und solche Dinge zu zeigen scheint Scotts erklärtes Ziel zu sein.

Verwandlungen - vom Tier oder Objekt zum Mensch, vom Mensch zum Künstler zum Gott, vom Fiktiven zum Wahren - sind für ihn die Essenz des Kinos. Er schafft Filme, die einen das Menschliche im Unmenschlichen suchen lassen. Und finden.

Filmfestival Venedig

Das Filmprogramm im Überblick:

  * Madres Paralelas (Regie: Pedro Almodovar)

  * Mona Lisa And The Blood Moon (Regie: Ana Lily Amirpour)

  * Un Autre Monde (Regie: Stéphane Brizé)

  * The Power Of The Dog (Regie: Jane Campion)

  * America Latina (Regie: Damiano D"Innocenzo, Fabio D"Innocenzo)

  * L"Evénement (Regie: Audrey Diwan)

  * Competencia Oficial (Regie: Gaston Duprat, Mariano Cohn)

  * Il Buco (Regie: Michelangelo Frammartino)

  * Sundown (Regie: Michel Franco)

Venedig rollt den roten Teppich aus / © Bookperfect (shutterstock)
Venedig rollt den roten Teppich aus / © Bookperfect ( shutterstock )
Quelle:
KNA