Nonnen sollen Missbrauch durch Priester ermöglicht haben

Massive Vorwürfe beziehen sich auf Speyerer Kinderheim

Ordensschwestern in Speyer haben offenbar über Jahre Heimkinder mehreren Geistlichen zum sexuellen Missbrauch überlassen. Vielleicht geht es sogar um Mord zur Vertuschung des Skandals, wie aus einem Urteil des Sozialgerichts Darmstadt hervorgeht. 

Autor/in:
Michael Jacquemain
Sexueller Missbrauch durch Priester / © ambrozinio (shutterstock)
Sexueller Missbrauch durch Priester / © ambrozinio ( shutterstock )

Losgetreten hatte den Skandal der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann am Donnerstag mit einem Interview in seiner Kirchenzeitung, in dem er davon ausgeht, dass sich der frühere Generalvikar und Offizial Rudolf Motzenbäcker des Missbrauchs schuldig gemacht habe.

Das Darmstädter Urteil vom Mai beschreibt über viele Seiten die dramatische Kindheit eines 1957 geborenen Mainzers aus prekären Verhältnissen, der nach diversen Stationen mit fünfeinhalb Jahren schließlich im Speyerer Kinderheim der Niederbronner Schwestern landete. Die Zeit in der Engelsgasse nennt er eine "Zeit des ständigen Missbrauchs". Hochgerechnet 1.000 Mal sei er vergewaltigt worden.

Systematischer Missbrauch begann mit zehn Jahren 

Angefangen hatte der systematische Missbrauch laut den Schilderungen im Alter von zehn oder elf, als er Ministrant im Kaiserdom war. Der im Urteil als Haupttäter beschriebene Priester, mit dem Motzenbäcker gemeint sein dürfte, der gleichzeitig auch noch sein Beichtvater war, habe ihn immer wieder mit in seine Wohnung genommen und sei dort anal und oral in ihn eingedrungen. Dabei habe er auf einer Kniebank knien müssen, damit der Prälat leichter sexuelle Handlungen an ihm habe vornehmen können.

Ein- bis zweimal monatlich habe er den Priester besuchen müssen. Als Vorwand für Begegnungen habe etwa Hilfe im Garten herhalten müssen. Die Nonnen hätten ihn zu den Treffen "regelrecht hingeschleppt". Manchmal, so gibt es das Urteil wieder, seien auch andere Priester dazugekommen; einmal hätten ihn drei Geistliche auf einmal missbraucht. Bei diesen "Sexspielchen" sei es zu mehrfachem und gleichzeitigen Geschlechtsverkehr mit ihm gekommen. Daneben berichtete das Opfer bei einer gutachterlichen Befragung auch von psychischen und körperlichen Misshandlungen wie Einsperren im kalten Keller und von Schlägen. Die Nonnen hätten "mit allem gehauen", was sie in die Hände bekommen hätten. Dazu sei es vor allem vor und nach Vergewaltigungen gekommen.

Gruppenvergewaltigungen alle drei bis vier Monate

Zu sogenannten Sexpartys, die demnach alle drei bis vier Monate stattfanden, seien auch Freunde und Politiker gekommen - zwischen drei und sieben Männern zwischen 40 und 60 Jahren. Bei diesen "Gruppenvergewaltigungen" seien auch andere Jungen und Mädchen vor Ort gewesen. Wörtlich die im Urteil wiedergegebene Schilderung: "Es habe einen Raum gegeben, in dem die Nonnen die Herren mit Getränken und Speisen bedient hätten, in der anderen Ecke seien die Kinder vergewaltigt worden. Die Nonnen hätten daran verdient. Die anwesenden Herren hätten großzügig gespendet." Anschließend seien die Leinenbetttücher blutig gewesen, wenn Geschlechtsorgane der Kinder aufgerissen seien. Die meisten der damals beteiligten Kinder seien heute tot. Viele hätten sich selbst umgebracht.

Mutmaßlicher Mord eines vergewaltigten Mädchens

Als prägenden Vorfall nennt das Opfer, das mit Journalisten spricht, seinen Namen aber nicht veröffentlicht sehen will, seinen Kontakt zu einem ein Jahr jüngeren Mädchen, das nach einer solchen Sexparty schwanger geworden sei. Er sei mit ihm bei der Polizei und anderen Behörden gewesen, aber überall als Lügner dargestellt worden. Zwei Wochen später habe er das Mädchen beim Abendessen vermisst und nach ihm gesucht. Schließlich habe er es auf dem Speicher aufgehängt aufgefunden. Er glaube nicht an Selbstmord, weil es keine Aufstiegshilfe an der Stelle gegeben habe. Er vermute, so steht es im Urteil, dass das Mädchen zu viel gewusst habe. Das Gesicht des toten Mädchens werde er nie vergessen, er sei daran innerlich zerbrochen.

Gutachter hegen keinen Zweifel an der Aussage

Mehrere Gutachter und das Gericht hegen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mannes, gehen von "authentischen Angaben" und "selbst Erlebtem" aus. Auch dass weder Behörden noch Staatsanwaltschaft etwas zu einem erhängten Mädchen bekannt sei, vermag demnach die Glaubhaftigkeit nicht zu erschüttern: "Unklar ist ob und wie dieser Todesfall überhaupt dokumentiert und gemeldet wurde, zudem dürfte davon auszugehen sein, dass bei einem 'Selbstmord' keine weiteren Ermittlungen durchgeführt worden sind."

Ans Licht kam die ganze Geschichte, weil der Mann Hilfe nach dem Opferentschädigungsgesetz geltend machen wollte. Das Gericht ermittelte. Der Beitrag der Niederbronner Schwestern zur Aufklärung der Fälle vor Gericht kann als bescheiden betrachtet werden. Ihr Missbrauchsbeauftragter ließ wissen, dass heute keine Unterlagen mehr zum Aufenthalt von Kindern in Speyer vorlägen. Schwestern, die früher in dem 2000 geschlossenen Heim gearbeitet hätten, könnten die Behauptungen des Klägers nicht bestätigen. Im Übrigen sei "der Kontakt zu dem Kläger beendet worden".

Andere Betroffene bestätigen Aussagen

Allerdings bestätigten andere Betroffene im Wesentlichen die Aussagen des Klägers und belasteten Motzenbäcker. Das Bistum Speyer, das nach eigenem Bekunden seine Informationen einschließlich der indirekten Mordvorwürfe an die Staatsanwaltschaft Frankenthal übermittelt hat, zahlte dem Mann in Anerkennung des Leids 15.000 Euro.

Insgesamt meldeten sich im Zusammenhang mit dem Speyerer Kinderheim demnach bislang vier Betroffene beim diözesanen Missbrauchsbeauftragten. Die strafrechtlichen Verfahren sind inzwischen verjährt. Ein Gutachten für das Gericht bestätigte indes, dass der Mann "aufgrund der Missbrauchserfahrungen zeitlebens immer wieder unter psychopathologischen Symptomen in klinisch relevantem Ausmaß leiden würde".


Bischof Karl-Heinz Wiesemann im Portrait / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Bischof Karl-Heinz Wiesemann im Portrait / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA