Medizinjurist kritisiert Widerspruchslösung bei Organspende

"Das wäre ein Eigentor"

Weil Spenderorgane fehlen, wird in Deutschland über eine sogenannte Widerspruchslösung nachgedacht. Dies sei aber keine gute Idee, findet der Straf- und Medizinrechtler Gunnar Duttge. Im Interview regt er zu einem anderen Weg an.

Organspendeausweise / © Jens Kalaene (dpa)
Organspendeausweise / © Jens Kalaene ( dpa )

epd: Weil Spenderorgane fehlen, wird in den Niederlanden künftig jede volljährige Person automatisch als Organspender erfasst - es sei denn, sie widerspricht dem ausdrücklich. Das Gesetz wurde in der vergangenen Woche in Den Haag mit einer Zwei-Stimmen-Mehrheit vom Parlament angenommen. Was halten Sie von der Entscheidung in den Niederlanden?

Gunnar Duttge (Straf- und Medizinrechtler von der Georg-August-Universität in Göttingen): Die Nachricht hat mich überrascht. Die Niederlande sind sonst ein sehr liberales Land. Bei der Sterbehilfe und der Drogenpolitik ist dort alles auf Selbstbestimmung ausgerichtet. 

epd: Wäre die sogenannte Widerspruchslösung auch in Deutschland denkbar?

Duttge: Rein rechtstechnisch wäre das natürlich machbar. Der Bundestag müsste dann das Transplantationsgesetz ändern.

Gesellschaftspolitisch wäre das aber außerordentlich unklug, wenn man sagt: "Ihr seid misstrauisch, künftig werden wir euch einfach nicht mehr fragen." Das wäre ein Eigentor. So gewinnt man kein Vertrauen.

Ich bin auch immer skeptisch beim Vergleich mit anderen Ländern. Auf Zypern und in Bulgarien gibt es auch die Widerspruchslösung und da sind die Spenderzahlen sehr niedrig. Spanien hat zwar die meisten Spender in Europa, da hat Organspende in den Familien aber auch eine andere Ausprägung von Solidarität. 

epd: Was wären denn sinnvolle Alternativen, um wieder mehr Organspender in Deutschland zu gewinnen?

Duttge: Das Problem des Organmangels müsste im alltäglichen Leben der Menschen sichtbar werden, so wie etwa Fernsehlotterien für einen guten Zweck Menschen für die Not in der Welt sensibilieren. Im Einzelnen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, um Anstöße zum Nachdenken zu geben. Die Bevölkerung muss dringend aufgeklärt werden.

Zu selten informieren sich Menschen aus eigenem Antrieb über Themen wie Hirntoddiagnostik, Intensivmedizin am Lebensende und die Frage nach der Verteilung von Organen.

Man könnte in der Tageszeitung eine Rubrik einführen "Organspender des Monats". Das was zum Beispiel die Deutsche Stiftung Organspende jetzt tut, verstehen Menschen eher als nachholende Imagekampagne, als Marketing. Das reicht nicht. Wir müssen proaktiv auf die Menschen zugehen, nicht nur eine Hotline anbieten. Warum thematisieren wir Organspende nicht in der Fahrschule? Wir sollten die Fahrschüler fragen, was mit ihren Organen nach einem Unfall passieren soll.

Klingt prekär, aber wir sollten sie zumindest darüber informieren. Das sorgt ja auch für ein positives Image der Fahrschule. Oder an Schulen gehen, Jugendliche ansprechen. Wir müssen da hingehen, wo Menschen zusammenkommen.

Das Interview führte Carina Dobra.

Organspende in Deutschland

Mehr als 10 000 schwer kranke Menschen warten hierzulande auf ein Spenderorgan, die meisten von ihnen auf eine neue Niere. Umfragen zufolge stehen die meisten Bürger der Organspende positiv gegenüber, doch nur rund 35 Prozent haben ihre Entscheidung auch in einem Spendeausweis festgehalten.

Die derzeit geltende Rechtslage (sog. Entscheidungslösung) besagt, dass eine Organ- und Gewebespende grundsätzlich nur dann möglich ist, wenn der mögliche Organ- oder Gewebespender zu Lebzeiten eingewilligt hat oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat.

Symbolbild Organspende / © vchal (shutterstock)
Quelle:
epd