Gleich ob wegen Greta, Gletscherschmelze oder Gluthitze im Sommer - derzeit jagt ein Klimaschutzvorstoß den anderen. Vor allem die Jugend ist besorgt, wie die Friday-for-Future-Bewegung oder die jüngste Shell-Jugendstudie verdeutlichen.
Für Aufsehen sorgte CSU-Chef Markus Söder Ende Juli mit seiner Forderung, den Klimaschutz zur "Staatsaufgabe" im Grundgesetz zu verankern. Kritiker warfen ihm daraufhin "inhaltsleere Symbolpolitik" vor, die zugleich die Verfassung zu überfrachten drohe. Ein Vorwurf der schon vor 25 Jahren kam, als der Umweltschutz als "Staatsziel" im Grundgesetz verankert wurde. Am 27. Oktober 1994 trat der neu geschaffene Artikel 20a in Kraft.
Vorausgegangen waren erbitterte Debatten. "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung", heißt es nunmehr im Grundgesetz. Immerhin brauchte es 45 Jahre für diesen Schritt, denn für die Mütter und Väter des Grundgesetzes spielte die Frage des Umweltschutzes noch keine wesentliche Rolle.
Thema Umwelt wurde zum Katalysator für die Grünen
Erst mit dem Waldsterben, der Übersäuerung der Seen und Flüsse, der Debatte um die Atomkraft oder Bildern ölverseuchter Strände trat die Bedeutung der Lebensressource Umwelt in das breite Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die SPD hatte die Forderung nach einem neuen Grundrecht erstmals 1971 in ihr Umweltprogramm geschrieben. Das Thema wurde dann zum Katalysator für den Aufstieg der Grünen. Sie verlangten 1984, den Artikel 2 zum "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" um "das Recht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt seiner natürlichen Lebensgrundlagen" zu erweitern.
Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 brachte die Debatte dann richtig in Gang - und führte zu jahrelangen politischen Auseinandersetzungen. Denn noch im selben Jahr lehnte die Unionsfraktion ein solches Staatsziel entschieden ab. Erst nach der Wiedervereinigung kam Bewegung in die Diskussion. Schließlich einigte sich eine gemeinsame Verfassungskommission nach zwei Jahren Beratung 1993 auf eine Kompromissformulierung. Der heute ebenso erwähnte Tierschutz als Staatsziel fand allerdings erst im Sommer 2002 Eingang in den Artikel 20a.
Welches Gewicht hat aber ein "Staatsziel"? Immerhin hat der Bundestag seit Gründung der Bundesrepublik erst drei weitere Staatszielbestimmungen in die Verfassung aufgenommen: Das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht", die "Verwirklichung eines geeinten Europa" und die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung". Und es gab und gibt immer wieder Bestrebungen etwa den Sport oder die Kultur einzubeziehen - so dass der damalige CDU-Verteidigungsminister Franz-Joseph Jung vor einem "Warenhauskatalog" und falschen Erwartungen warnte.
Im Alltag ist Klimaschutz ernüchternd
Umweltschutzgruppen in Bayern mussten früh ernüchtert feststellen, dass auf deklarierte "Staatsziele" im konkreten Fall kaum zu setzen ist. Der Freistaat hatte den Umweltschutz als erstes Bundesland bereits 1984 in die Landesverfassung aufgenommen. Beim Streit um Straßentrassen oder Landebahnen war dies aber juristisch irrelevant. Denn ein Staatsziel ist nicht einklagbar, wie dies für Grundrechte gilt.
Dennoch sind Staatsziele nicht nicht nur ideologische Fassade, wie der Umweltschutz in der DDR. Dort bekannte sich die Verfassung bereits 1968 zur "Reinhaltung der Gewässer und der Luft" sowie zum "Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der Landschaftlichen Schönheit der Heimat". Spätestens der illegale Dokumentarfilm "Bitteres aus Bitterfeld" von 1988 zeigte allerdings, wie die realsozialistische Wirklichkeit im Chemiedreck aussah.
Über die faktische Bedeutung von Staatszielen wird bis heute immer wieder gestritten - nicht zuletzt unter Juristen. Einer "Staatsaufgabe", wie sie Söder nun forderte, hätte immerhin eine höhere Verbindlichkeit, allerdings immer noch nicht die eines Grundrechts. Dennoch zeigt die wiederkehrende Auseinandersetzung, dass es um mehr als reine Symbolpolitik geht. Denn schon bei der Vergabe von Finanzmittel ist es nicht unerheblich, ob es um ein Ziel geht, das auch in der Verfassung festgeschrieben ist.
Von Christoph Scholz