"Wir nehmen das Problem von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in der Kirche immer noch nicht ernst genug." Mit diesen Worten sorgte der neue Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer für Aufsehen. Um im "Kölner Stadt-Anzeiger" noch draufzusatteln: "Wir Bischöfe sitzen für mein Empfinden immer noch zu sehr auf dem hohen Ross."
Da will's einer wissen. Und das hat mehrere Gründe: Zum einen hat der 57-Jährige im September ein schweres Erbe angetreten. Einer seiner verstorbenen Vorgänger in Hildesheim - Heinrich Maria Janssen (1957 bis 1982) - ist der einzige deutsche Oberhirte, dem sexueller Missbrauch vorgeworfen wird. Hinzu kommt der Fall des lange in Hildesheim aktiven Missbrauchstäters Peter R. Hier warf Wilmer im NDR seinem Vorvorgänger Josef Homeyer (1983 bis 2004) und der damaligen Bistumsleitung schwerwiegendes Versagen vor: "Sie haben fürchterliche Dinge zugedeckt, und das ist eine Katastrophe."
Sein Blick von außen eckt an
Zum zweiten kommt Wilmer buchstäblich von außen. Er war weder Weihbischof noch Generalvikar oder Personalchef eines Bistums, sondern Generaloberer der Herz-Jesu-Priester in Rom und davor Schulleiter im Emsland. Vielleicht macht ihn auch das freier, Finger in Wunden zu legen - selbst wenn er aneckt. Etwa wenn er den Kirchenkritiker Eugen Drewermann als "verkannten Propheten" charakterisiert, der für ungeschminkte Wahrheiten über den Klerikerstand "ins Abseits gedrängt oder gar mundtot gemacht" worden sei. Oder wenn er sagt: "Der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche."
Auch andere Bischöfe gehen in die Offensive und wollen den Worten der Betroffenheit nach der Missbrauchsstudie Taten folgen lassen. Etwa Freiburgs Erzbischof Stephan Burger: Er sieht bei seinem Amtsvorgänger Robert Zollitsch, der zudem Vorsitzender der Bischofskonferenz war, Fehler im Umgang mit Missbrauchstaten und benennt das deutlich. Zugleich geht er auf die Opfer zu und ändert den Umgang mit Personalakten, um Manipulationen zu verhindern. Zollitsch selbst räumte Fehler ein und bat die Opfer um Verzeihung. Die Kirche sei damals nicht in der Lage gewesen die Taten "als das zu benennen, was es war: als Verbrechen".
Transparenz ist jetzt in vielen Bistümern das Gebot der Stunde - wobei nicht selten schlimme Fehler der Vergangenheit ans Licht kommen, die auch berühmte Bischofsgestalten betreffen wie etwa Reinhard Lettmann in Münster. In dessen Amtszeit war ein verurteilter Missbrauchstäter immer wieder versetzt worden.
Transparenz und öffentliche Signale
Jüngste Beispiele: Würzburgs neuer Bischof Franz Jung stellte sich einer Podiumsdiskussion mit einem Missbrauchsopfer. Und Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode machte als eine der ersten Amtshandlungen nach langer Krankheit einen Missbrauchsfall öffentlich und räumte schwere Fehler ein. Als Bischof müsse er selbst "für diese Schuld einstehen", so Bode, der schon 2010 mit einem öffentlichen Schuldbekenntnis für Aufsehen gesorgt hatte.
Über diese Transparenzoffensive und öffentliche Signale wie den ersten Gedenktag für Missbrauchsopfer hinaus gehen weitere Schritte der Aufklärung und Aufarbeitung. Bundesweit gibt es verschiedene Ansätze der Zusammenarbeit mit externen Stellen und mit der Justiz - bis hin zur Öffnung der Archive und zur Einsicht in die Akten von Beschuldigten. Aktuell teilte etwa das Erzbistum Köln am Montag mit, es habe mehreren Staatsanwaltschaften Akten zu Missbrauchsfällen übergeben.
"Ohne Tabus"
Darüber hinaus hatten die Bischöfe versprochen, "ohne Tabus" über Sexualmoral, Zölibat, Klerikalismus, die Rolle von Frauen in der Kirche und andere Strukturelemente zu diskutieren. Hier haben etwa die Bischöfe Franz-Josef Overbeck in Essen und Georg Bätzing in Limburg sowie Erzbischof Heiner Koch in Berlin erste Aufschläge gemacht, doch der Ball wurde noch nicht überall aufgenommen.
Am Donnerstag betonte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, die Kirche brauche "tiefgreifende Reformen" und er sehe auch Spielräume bei der Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral.
Sorgen machten ihm dabei "Kräfte, die meinen, wenn wir keine homosexuellen Priester mehr haben, wäre das ganze Missbrauchsproblem gelöst". Zugleich kündigte er an, er müsse die Bischofskonferenz "für Reformschritte gewinnen, die tiefer gehen". Wie das im Grundsatz bereits Beschlossene konkretisiert werde, dazu erwarte er "heftige Kontroversen".
Einheitliche Standards schaffen
Nach der ersten Schockstarre ist Einiges in Bewegung geraten. Immer mehr Bischöfe machen Ernst, was ihnen auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, bescheinigt. Er sehe "große Fortschritte", sagte er am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Vor allem Bischof Wilmer habe hier Maßstäbe gesetzt.
Rörig ergänzte, er habe den Kirchen inzwischen einen ersten konkreten Vorschlag über das weitere Vorgehen bei der Aufarbeitung vorgelegt, der nun mit ihnen abgestimmt werden solle. So plädiert er etwa für einheitliche Standards bei der Aufarbeitung der oft bereits verjährten Taten. Er hoffe zudem sehr, dass man sich auf eine staatliche Unterstützung bei der Aufarbeitung verständigen könne.
Zudem müsse die Frage auf den Tisch, wie hoch der Anspruch von Opfern auf finanzielle Entschädigung sei. Das fordert auch Matthias Katsch, der Sprecher der Opfer-Initiative "Eckiger Tisch". Immerhin: nach einem Gespräch mit Bischof Wilmer ist Katsch, wie er sagt, "vorsichtig optimistisch".