Brisante Debatte vor dem Impfgipfel

Mehr Freiheiten für Geimpfte?

Vor dem Impfgipfel werden erneut Forderungen laut, geimpften Bürgern mehr Freiheiten zu geben. In der Debatte geht es auch um die Themen Solidarität, Gerechtigkeit und die Einschränkung von Grundrechten. Wichtige Aspekte der Diskussion.

Symbolbild Impfung / © Pond Saksit (shutterstock)

Worum geht es bei der Debatte?

Bereits im Frühjahr 2020 hatte es europaweit eine intensive Debatte darüber gegeben, ob der Staat Bürgern, die durch Tests oder Impfungen eine Immunität gegen Corona nachweisen können oder von einer Corona-Erkrankung genesen sind, eine Bescheinigung ausstellen darf, damit sie ohne Einschränkungen am öffentlichen Leben teilnehmen können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte daraufhin eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates angefordert. Das Gremium plädierte gegen die Einführung eines solchen Nachweises "zum jetzigen Zeitpunkt". Begründet wurde das damit, dass bislang ein belastbarer Nachweis über Grad und Dauer einer Immunität fehlten.

Warum flammt die Debatte jetzt wieder auf?

Immer mehr Deutsche sind geimpft, deshalb wird die Debatte immer lauter, ob sie in ihrem normalen Alltag zurückkehren können, wie das etwa schrittweise in England passiert. Vor dem Impfgipfel am Montag plädiert auch das Bundesjustizministerium laut "Bild" dafür, bei Geimpften oder Genesenen Ausnahmen von den geltenden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu machen. Konkret heißt es, dass Menschen, die gegen Covid-19 geimpft sind, und Genesenen dieselben Ausnahmen eingeräumt werden sollen, die bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 für negativ auf das Coronavirus Getestete gelten. Genesene und Geimpfte könnten zum Teil sogar besser gestellt werden als Getestete.

Begründet wird der Vorstoß damit, dass nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts davon auszugehen ist, dass Geimpfte und Genesene ein geringes Risiko haben, andere Menschen anzustecken, als durch einen Antigentest negativ Getestete. Das gelte bei Geimpften spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis.

Auch Gesundheitsminister Spahn hat erklärt: "Wer vollständig geimpft wurde, kann in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde." Wenn die dritte Welle der Corona-Pandemie gebrochen sei und weitere auf Schnelltests beruhende Öffnungsschritte wie beim Einzelhandel gegangen würden, komme diese Grundsatzentscheidung zum Tragen.

Damit stellt sich die Frage, ob man Bürger angesichts eines knappen Angebots an Impfstoff unterschiedlich behandeln darf...

Kritiker warnen vor einer Zweiklasseneinteilung und vor einer Spaltung der Gesellschaft. Erst wenn alle Bürger die Chance gehabt hätten, sich impfen zu lassen, könne man über eine solche Ungleichbehandlung nachdenken.

Was sagen die Befürworter von mehr Freiheiten für Geimpfte?

Es gibt gewichtige verfassungsrechtliche Gründe. So hält der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, eine Einschränkung von Grundrechten für Geimpfte für unzulässig. "Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassungsrechtlich keine Legitimation mehr, die Betroffenen in ihren Grundrechten weiter zu beschränken", sagt er. Ähnlich argumentiert Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD): Grundrechte seien keine Privilegien, betont sie. "Grundrechte stehen mir zu nach der Verfassung und wenn der Staat eingreift in diese Grundrechte, dann braucht er dafür gute Gründe." Der Schutz von Leib und Leben sei so ein Grund, aber wenn der wegfalle, weil von Geimpften keine Gefahr mehr ausgehe, dann habe der Staat keinen Grund mehr, in diese Grundrechte einzugreifen.

Der Deutsche Ethikrat hatte etwas anders argumentiert.

Er betonte in einer im Februar veröffentlichten Empfehlung, auch Geimpften, die nicht mehr infektiös sind, könnten einfache Präventionsmaßnahmen wie Abstandsregeln oder das Maskentragen zugemutet werden. Das Gremium verwies darauf, dass ein Teil der Bevölkerung eine ungleiche Behandlung als ungerecht beurteilen könnte. Die Regeln sollten für alle Personen zum selben Zeitpunkt aufgehoben werden. Mittlerweile erklärte die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, allerdings, es gebe mit den Aussagen des Robert Koch-Instituts eine neue Situation. Es werde schwer sein, die Freiheitsbeschränkungen aufrechtzuerhalten, wenn der Sachgrund entfalle. Große Nachteile für Nicht-Geimpfte ließen sich durch mehr Tests vermeiden.

Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind in der Corona-Pandemie besonders verletzlich. Gibt es für sie eigene Regeln?

Experten kritisieren, dass in vielen Pflegeeinrichtungen nach wie vor scharfe Kontaktbeschränkungen gelten. Die Berliner Caritas etwa forderte am Sonntag vom Senat, mehr Normalität in den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen. Es gebe zwar erste Lockerungsschritte, doch die reichten nicht, beklagt Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. So gelte bei den gemeinsamen Aktivitäten immer noch eine Maskenpflicht. Beim Essen müssten die Bewohnerinnen und Bewohner nach wie vor weit Abstand halten. Dabei seien sie weitgehend geimpft, ebenso wie das Personal.

Wie könnte eine Impfung nachgewiesen werden?

Die 27 EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, dass es einen gemeinsamen digitalen Corona-Impfnachweis geben soll. Die EU-Kommission spricht von einem "grünen Zertifikat", das sie im Juni einführen will. Welche Vorteile das Zertifikat den Geimpften verschafft, ist noch nicht ganz klar und könnte von Land zu Land unterschiedlich sein. In Deutschland ist ein digitaler Impfpass in Planung. Welche Rechte damit verbunden sein werden, steht noch nicht fest.

Von Christoph Arens 


Quelle:
KNA
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