"Das Problem ist nicht der Islam, sondern, dass es so viele Arschlöcher gibt!", schreit eine Frauenstimme durch ein Megafon und heizt einen Zug Demonstranten an. Sie sind auf dem Weg über die Domplatte zum Banhofsvorplatz: Protestanten der Jungen Sozialisten, der Jungen Liberalen, der Grünen Jugend, der Linken Jugend, der Piraten und des Aktionsbündnisses "Köln gegen Rechts" plus einige Linksautonome. Menschen, die sich für gewöhnlich als Gegner sehen, halten heute zusammen. Gemeinsam demonstrieren sie gegen den "ErdoWahn" und eine Pro-Erdoğan-Kundgebung auf der anderen Rheinseite. Auch Türken sollen unter den Anti-Erdoğan-Protestlern sein.
Die Stimmung ist aufgeheitzt, Emotionen wiegen heute stärker als Fakten. Laute Musik, ab und an schreit eine Sirene, bunte Fahnen und über allem kreisen Hubschrauber. Insgesamt stehen heute mehr als 2.700 Sicherheitskräfte in Köln bereit. Die Polizei spricht vom "größten Einsatz seit langem." In Dom- und Bahnhofsnähe parken mehrere blaue und grüne Bullis; Hundertschaften sichern den Zug der Gegendemonstration zum Bahnhofsvorplatz.
"Ja zur Demokratie! Nein zum Staatsreich!"
Unterdessen tummeln sich immer mehr Türken und Erdoğan-Sympathisanten an der Deutzer Werft. Die Polizei zählt mittlerweile 20.000 Demonstranten.
Bis zuletzt war umstritten, ob auch der Staatspräsident der Türkei selbst per Live-Schalte an der Demonstration teilnehmen dürfe. Der Streit um die Rahmenbedingungen der Kundgebung eilte durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht, das am Samstagabend beschloss: Eine Videoleinwand für Zuschaltungen von auswärtigen Rednern sei nicht vom Versammlungsrecht gedeckt. Gestattet sei aber, dass der türksiche Sportminister, Akif Çağatay Kılıç, nach Köln reisen und dort auftreten dürfe.
Ein geplanter Auftritt des türkischen Außenministers, Mevlut Çavusoğlu, sei indes verhindert worden - so Jürgen Mathies, der Kölner Polizeipräsident. Çavusoğlu hat sich inzwischen in anderer Sache an die EU gewandt: Er stelle der Europäischen Union ein zweimonatiges Ultimatum. Dürfen türkische Bürger bis Ende Oktober nicht visumfrei in die EU einreisen, sehe sich Ankara nicht mehr an das Flüchtlingsabkommen gebunden.
Erste Zwischenbilanz
Ein Marsch der Rechtsextremistengruppe "Pro NRW" endete nach Medienangaben am Nachmittag durch die Polizei: Beamte hätten Waffen und Alkohol bei den Demonstrierenden gefunden.
Auch die Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz hat sich mittlerweile aufgelöst. Sie endete friedlich. Lediglich in den Nebenstraßen könne es noch zu spektakulären Szenen kommen. "Laute Knalle und ein Feuerball", twittert die Polizei. Denn dort finden am Nachmittag Dreharbeiten für die TV-Serie "Alarm für Cobra 11" statt. Immerhin: Die Produktionsfirma der Serie hatte bereits in der vergangenen Woche gegenüber der Stadt Köln erklärt, bei den heutigen Dreharbeiten am Breslauer Platz angesichts der Demonstrationen auf jegliche irritierende Geräuschentwicklungen zu verzichten.